In einem Labor in Sion schneidet eine Chemieingenieurin Stoff in kleine Stücke, die sie dann schreddert. Ihr Ziel: Die Stücke sollen recycelt werden – und zwar chemisch. Das Start-up Depoly entwickelte dazu ein Verfahren, das Textilien zersetzt. Wie genau, bleibt Firmengeheimnis. Bekannt ist nur: Es kommt ohne Hitze oder Druck aus, und am Ende entsteht ein weisses Pulver, das wieder zu Polyester verarbeitet werden kann.
«Anstatt dass Textilien als Abfall enden, geben wir ihnen ein neues Leben», sagt Pelin Uran, Forschungsleiterin bei Depoly. Dieser Prozess, einst im Labor mit wenigen Gramm Polyester erprobt, wird heute in einer Pilotanlage durchgeführt. Dort können täglich zehn Kilogramm Polyester verarbeitet werden.
Polyester ohne neues Erdöl: Tüfteln an der Zukunft
Bis 2027 will das Start-up im grossen Stil Polyester recyceln. Eine Vorzeigeanlage im Wallis soll bereits im Sommer 2026 den Betrieb aufnehmen – 500 Tonnen PET- und Polyesterabfälle werden dort pro Jahr verarbeitet.
Chemisches Recycling, wie es Depoly macht, ist ein Teil der Lösung. Die Firma Säntis Textiles setzt auf mechanisches Recycling: Gründer Stefan Hutter hat eine Maschine entwickelt, die monatlich 350 Tonnen helle Baumwolle recycelt – Abfälle aus der Textilindustrie, aber auch Tischtücher, Bettwäsche oder Frottiertücher aus Gastronomie und Hotellerie.
«Unser Ziel ist es, möglichst viele Produkte auf den Markt zu bringen, die zu 100 Prozent aus recycelten Fasern bestehen», sagt Hutter, der die Firma gemeinsam mit seiner Tochter Annabelle führt. Künftig sollen auch getragene Kleidungsstücke – sogenanntes Post-Consumer-Material – verarbeitet werden.
Mechanisches Recycling: Baumwolle statt Müll
Hutter ist in Verhandlungen mit dem Schweizer Altkleidersammelunternehmen Tell-Tex, das mit seinen Maschinen in der Schweiz eine Recyclinganlage betreiben möchte. Wenn alles nach Plan läuft, wird Tell-Tex das System von Stefan Hutter bald in der Schweiz einsetzen. Geplant sind drei Systeme: eines, das weisse Abfälle aus Gastronomie und Hotellerie verarbeitet, und zwei weitere, die Jeans und Arbeitskleidung recyceln. Diese drei neuen Systeme können laut Hutter pro Monat 1800 bis 2000 Tonnen Baumwolle wiederverwerten.
Namhafte Brands haben bereits aus Hutters Garnen Jacken und T-Shirts fertigen lassen. Doch: Recycelte Baumwolle kostet bis zu 15 Prozent mehr als frische Baumwolle. «Vielen Marken ist das zu teuer. Sie sind verwöhnt von den tieferen Preisen, die Produktionsländer wie Indien bieten», sagt Annabelle Hutter.
Wer soll das Recycling bezahlen?
Damit in der Schweiz ein Recyclingsystem finanziert werden kann, erarbeitet der Branchenverband Swiss Textiles eine Branchenlösung: einen vorgezogenen Recyclingbeitrag – ähnlich wie bei Elektrogeräten. In den Niederlanden und in Frankreich werden solche Beiträge bereits entrichtet. Pro Kilogramm Kleidung wären 30 bis 40 Rappen fällig.
«Auf ein einzelnes Stück gerechnet sind das nur wenige Rappen», sagt Nina Bachmann, Nachhaltigkeitsexpertin des Verbands. «Damit sollen Sammlung, Sortierung, Logistik und die technologische Entwicklung finanziert werden.» Bezahlen würden das die Inverkehrbringer von Textilien. «Auch die grossen Onlineplattformen wollen wir in die Pflicht nehmen.»
Sie betont: «Projekte wie diejenigen von Depoly und Säntis Textiles sind sehr wichtig, weil sie lokale Verwertungsmöglichkeiten bieten und durch kurze Wege viel Know-how zwischen Textilbranche und Recycler generiert wird.»
Blackbox Kleidersäcke
Neue Lösungen, die das Kleiderrecycling vereinfachen können, erforschen Wissenschaftlerinnen an der Hochschule Luzern. Aus Arbeitskleidern entstehen dort unter Laborbedingungen Garne für neue Stoffe. Noch ist es zu anspruchsvoll, aus Altkleidern Garne herzustellen.
Der Vorteil: Bei Arbeitskleidern ist das Material bekannt und einheitlich. Nicht wie bei Altkleidern. «Kleidersäcke sind eine Blackbox», sagt Tina Tomovic, Forscherin an der HSLU. «Verschiedene Stoffe, Knöpfe, Etiketten, Innenfutter. All das muss zuerst aufwendig abgetrennt werden, bevor ein hochwertiges Recycling möglich ist.»
Design neu denken
«Gutes Recycling beginnt beim Design», ist Forschungsleiterin Andrea Weber-Hansen überzeugt. Ihr Team erforscht Designstrategien, die textile Produkte kreislauffähig machen. Zum Beispiel, wie man aus einem gleichen Rohmaterial wie Polyester ganze Kleidungsstücke machen kann, inklusive Verschlüssen und Knöpfen. «Das ist eine ganz neue Art, Produkte zu denken.»
In der Branche herrscht hoffnungsvolle Aufbruchstimmung: «Viele Technologien sind startklar», sagt Nina Bachmann. Sie ist überzeugt, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren viele dieser Entwicklungen den Sprung aus der Forschung in den Markt schaffen. Gelingt das, könnten recycelte Fasern bald nicht nur in Pilotprojekten, sondern im Massenmarkt landen – und im grossen Stil aus alten Kleidern neue Mode entstehen.