Zum Inhalt springen

Arbeitsrecht «Ich bekomme kein Zwischenzeugnis. Was kann ich tun?»

Seit Monaten wartet eine Frau aus dem Kanton Aargau auf ihr Zwischenzeugnis. Sie ist auf Jobsuche und dringend auf das Zeugnis angewiesen. Doch der Arbeitgeber lässt sich Zeit. «Espresso» sagt, wie lange Arbeitgeber trödeln dürfen und was sie dabei riskieren.

Laut Obligationenrecht können Angestellte jederzeit ein Arbeitszeugnis verlangen. Dauert das Arbeitsverhältnis noch an, muss der Arbeitgeber ein Zwischenzeugnis ausstellen, am Schluss des Arbeitsverhältnisses ein Schlusszeugnis.

Im Gesetz nicht geregelt ist die Frage, wie lange ein Angestellter auf ein Zeugnis warten muss. Und wie so oft, wenn eine Frage gesetzlich nicht geregelt ist, gehen die Meinungen der Arbeitsrechtsexperten auseinander.

Alle Rechtsfragen

Box aufklappen Box zuklappen

Rechtsexpertin Gabriela Baumgartner beantwortet jeden Donnerstag eine Rechtsfrage. Haben Sie eine Frage? Schreiben Sie uns!

Zwei Monate sind die Obergrenze

Für die einen Juristen ist der Begriff «jederzeit» nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu interpretieren. Das heisst: Dem Arbeitgeber sollte gemessen an den jeweiligen Umständen genügend Zeit für diese Aufgabe eingeräumt werden. Ein Gericht befand, mehr als zwei Monate Wartezeit auf ein Zeugnis sei nicht tolerierbar.

Praktiker befürworten kürzere Fristen

Diese Frist wird in der Praxis von Experten als zu lange empfunden. Ohne aktuelle und vollständige Zeugnisse sind Arbeitnehmende auf der Stellensuche im Nachteil. Deshalb wird in der Lehre bei Arbeitsbestätigungen eine Frist von zwei Tagen und bei Vollzeugnissen eine Frist von maximal zwei Wochen als angemessen betrachtet.

Vor diesem Hintergrund müssen Angestellte bei Zwischenzeugnissen im Allgemeinen etwas mehr Geduld haben. Obschon das Gesetz einen jederzeitigen Anspruch auf ein Zeugnis vorsieht, geht die juristische Lehre davon aus, dass Angestellte nicht ohne guten Grund ein Zwischenzeugnis verlangen dürfen. Vorgesetztenwechsel, Umstrukturierungen oder ein geplanter Stellenwechsel sind Beispiele für ein solches «berechtigtes» Interesse. Will ein Angestellter einfach wissen, wo er leistungsmässig steht, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihm diesen Wunsch im Rahmen einer Mitarbeiterbeurteilung zu erfüllen.

Kündigt der Arbeitgeber, muss er vorwärts machen

Mehr zu «Arbeitsrecht»

Wer also nach einem Vorgesetztenwechsel oder im Hinblick auf eine Weiterbildung ein Zwischenzeugnis verlangt, muss dem Arbeitgeber ein paar Wochen Zeit geben, maximal aber zwei Monate.

Anders, wenn Angestellte, wie die «Espresso»-Hörerin aus dem Kanton Aargau, die Kündigung bekommen hat und sich eine Stelle suchen muss. In dieser Situation ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Zwischenzeugnis innerhalb von wenigen Tagen auszustellen. Ebenso, wenn ein Angestellter am Ende des Arbeitsverhältnisses noch keine neue Stelle hat.

Wer nicht mehr aufs Zeugnis warten mag, kann vor Gericht gehen

Trödelt ein Arbeitgeber in diesen Fällen, so verletzt er seine gesetzlichen Fürsorgepflichten und kann dafür haftbar gemacht werden. Betroffene Angestellte sollten deshalb einen säumigen Arbeitgeber schriftlich mahnen und dann ihren Anspruch auf ein Zeugnis beim Arbeitsgericht einklagen. Das Verfahren ist unkompliziert und vor allem kostenlos. Rechtliche Unterstützung bieten Gewerkschaften und die unentgeltlichen Rechtsberatungen der Gerichte.

Meistgelesene Artikel