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Arbeitsrecht Muss ich die Minusstunden aufarbeiten?

Der neue Chef stellt die Arbeitspläne auf den Kopf. Die Folge: Eine Mitarbeiterin soll künftig einen Teil ihres Pensums quasi auf Abruf arbeiten. So entstehen ihr aber Minusstunden. «Espresso» sagt, in welchem Fall die Frau die Minusstunden nicht abarbeiten muss.

Seit bald acht Jahren arbeitet eine «Espresso»-Hörerin aus dem Kanton Bern für ihren derzeitigen Arbeitgeber. Mit einem 40-Prozent-Pensum, jeweils am Montag und am Dienstag. Jetzt wird der Betrieb umstrukturiert. Angeblich gibt es zu viele Stellenprozente, liess der neue Geschäftsleiter verkünden. Deshalb würden die Pensen und Arbeitszeiten einzelner Angestellter angepasst.

Unregelmässig arbeiten – quasi auf Abruf

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Die Rechtsexpertinnen Gabriela Baumgartner und Raphaela Reichlin beantworten jeden Donnerstag im «Espresso» eine Rechtsfrage. Hier geht es zu den bisherigen Antworten .

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Betroffen ist auch die «Espresso»-Hörerin. Sie soll künftig nur noch 10 Stunden pro Woche fix arbeiten dürfen. «Nach dem vorliegenden Arbeitsplan werden sich bei mir durch die neue Arbeitszeit bis nach den Sommerferien etwa 100 Minusstunden ansammeln», schreibt die Frau. Diese Minusstunden müsse sie nach dem Willen der Geschäftsleitung und «nach Bedarf» bei Ferien und im Winterhalbjahr abarbeiten. Dafür bekommt sie weiterhin den gleich hohen Lohn.

«Muss ich akzeptieren, künftig quasi auf Abruf zur Verfügung stehen zu müssen?», möchte die Verkaufsberaterin «von Espresso» wissen. «Und wenn nein, wie kann ich mich wehren?»

Eine Änderungskündigung birgt Risiken

Ein Arbeitgeber kann die Arbeitsbedingungen verändern. Allerdings nur dann, wenn ein Angestellter damit einverstanden ist. Ist das – wie bei der «Espresso»-Hörerin aus dem Kanton Bern – nicht der Fall, so muss der Arbeitgeber den Vertrag unter Einhaltung der vertraglichen Frist künden und dem Angestellten einen neuen, schlechteren Vertrag vorlegen.

Das will die betroffene «Espresso»-Hörerin nicht provozieren. Sie fürchtet, dass der Arbeitgeber bei dieser Gelegenheit noch weitere Bedingungen verschlechtern könnte, den Lohn zum Beispiel. Vielmehr überlegt sich die Frau, ihre Stelle zu kündigen. Gut zu wissen: In diesem Fall müsste sie die Minusstunden bis zum Austritt aus der Firma nicht nacharbeiten. Vorausgesetzt allerdings, dass sie einer Vertragsänderung nicht zugestimmt hat. Ausdrücklich, also schriftlich oder stillschweigend.

Nicht reklamieren bedeutet: Ich bin einverstanden

Stillschweigend bedeutet: Werden Vertragsveränderungen mindestens drei Monate lang unwidersprochen akzeptiert, so können sie laut Gerichtspraxis zum Vertragsinhalt werden. Wer also drei Monate lang nicht reklamiert, weil er weniger Lohn bekommt als im Vertag vereinbart, riskiert, dass er künftig nur noch Anspruch auf diesen tieferen Lohn hat.

Urteil Bundesgericht

Im Beispiel der «Espresso»-Hörerin bedeutet das: Sie muss dem Arbeitgeber schriftlich mitteilen, dass sie mit den geplanten Veränderungen nicht einverstanden ist. Nur dann muss sie im Falle einer Kündigung die Minusstunden nicht abarbeiten.

Solche Gedankenspiele machen die Frau nicht glücklich. «Es ist wirklich schade», erzählt sie «Espresso». «Denn ich liebe meinen Job, die Firma und die Produkte, die wir verkaufen». Schade also auch für den Betrieb. Der verliert eine hervorragende, top motivierte Mitarbeiterin.

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