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Schluss mit dem Teufelskreis: Hilfe aus der Ko-Abhängigkeit
Aus Ratgeber vom 27.03.2013. Bild: colourbox.com
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Mitgefangen im Strudel der Sucht

Es ist nicht leicht, mit Süchtigen zu leben. Das gesellschaftliche Stigma belastet auch Angehörige schwer. Nur wenige holen sich Hilfe – und das oft erst sehr spät.

300'000 Alkoholkranke gibt es in der Schweiz, 30'000 Menschen sind drogenabhängig. Wie viele süchtig nach Tabletten sind, ist unbekannt. Die meisten dieser Menschen leben in einer Familie. Das heisst: Sicher eine Million Angehörige sind von einer Sucht indirekt betroffen – allein von der Alkoholsucht eines Angehörigen sind eine halbe Million Menschen betroffen, ergab eine repräsentative Befragung aus dem Jahr 2013.

Dabei zeigte sich auch, dass fast ein Drittel der Bevölkerung jemanden mit einem Alkoholproblem im Umkreis kennt, also unter Verwandten und Bekannten oder bei der Arbeit. Fast eine Million Schweizerinnen und Schweizer kennen zudem jemanden mit Drogenproblemen. Es liegt nahe, dass insbesondere Familienanghörige und Nahestehende nur eines wollen: dem Süchtigen so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu helfen.

Helfen wollen und das Gegenteil bewirken

Eltern beginnen, ihren Kindern Aufgaben und Schulden abzunehmen, Partner decken Ausfälle gegenüber dem Arbeitgeber. Nach und nach baut sich um die Familie ein wackeliges Gerüst aus Lügen auf, das irgendwann zusammenbrechen wird – ein ganzes «Suchtsystem» entsteht. Doch durch selbstlose Aufopferung eines anderen finden nur die wenigsten aus ihrer Sucht. Unterstützer bewirken eher das Gegenteil, wenn sie Betroffenen das Leben so leicht wie möglich machen. Während der Süchtige sich in seiner Abhängigkeit noch einigermassen komfortabel einrichten kann, drohen seinem Unterstützer psychische Erschöpfung, Depressionen, das Gefühl der Ausweslosigkeit und psychosomatische Probleme.

Die Co-Abhängigkeit ist in Partnerschaften besonders häufig. Frauen sind davon eher betroffen als Männer. Vielleicht, weil sie klassischerweise eher harmoniebedürftig sind und eher bereit, sich aufzuopfern für den Partner, sich mitverantwortlich für die Situation machen. Immer wieder übernehmen auch Kinder für ihre abhängigen Eltern die Verantwortung, kümmern sich um den Haushalt und versuchen, die Familie nach aussen hin aufrechtzuerhalten.

Vom Leugnen über die Kontrolle zur Ablehnung

Wenn sich das Ausmass der Sucht steigert, verändert sich auch das Verhalten der Angehörigen mit. Man unterscheidet drei Phasen: Zuerst kommt es zur Entschuldigungs- oder Beschützerphase, in der der Süchtige gedeckt und nach aussen entschuldigt wird. Dann folgt oft die Kontrollphase mit Beseitigen der Suchtmittel unter Wahrung der Fassade. Bis dann die Situation kippt und es zur dritten Phase kommt, vergeht oft lange Zeit: Denn erst im letzten Schritt folgt das Abwenden vom Betroffenen mit Wut, Enttäuschung, Vorwürfen.

Mit Abhängigen zu leben bedeutet ein gewisses Mass an Härte – sich selbst und dem Süchtigen gegenüber. Nahestehende müssen lernen, den Fokus wieder auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu richten und nicht die Verantwortung für die Probleme der anderen zu übernehmen. Auch ein Süchtiger muss für sein Verhalten geradestehen – auch und gerade, wenn Schwierigkeiten mit dem sozialen Umfeld oder dem Arbeitsplatz bestehen.

Es ist wichtig, dass Angehörige diese Abgrenzung auch mit dem Abhängigen besprechen, ihre Gefühle erklären und besprechen, was belastet – Forderungen und Vorschriften bringen meist eher wenig. Das heisst natürlich nicht, dass die Gefühle und Nöte des anderen keinen Stellenwert haben. Aber: Eine klare Trennlinie ist durchaus erlaubt. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Betroffene im Beisein ihrer Angehörigen keine Rauschmittel konsumieren. Und nicht zuletzt müssen sich Angehörige nicht isolieren: Diverse Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen bieten Hilfe an.

Viele holen sich erst sehr spät Hilfe

Doch das Suchthilfeangebot «Sucht Schweiz» bemängelt: Es könnten weit mehr Angehörige das breite Unterstützungsangebot von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen in Anspruch nehmen. Nur vier Prozent holten sich fachliche Hilfe – und das vielfach sehr spät. Mit einem neuen Projekt will «Sucht Schweiz», unterstützt vom Nationalen Programm Sucht, deshalb Verständnis für die Angehörigen wecken und die Hilfsangebote bekannt machen.

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