Nachts um vier Uhr schläft Zürich noch, oder? Nicht ganz. Dass man nämlich frühmorgens am Bahnhof ein frisches Sandwich oder einen Salat kaufen kann, ist vielen zu verdanken, die zu dieser Zeit bereits arbeiten. «Das vergisst man immer ein bisschen», sagt Ueli Bleiker, Geschäftsführer des Zürcher Engrosmarkts.
Der Bauch der Stadt schläft nicht
Der Zugang zum Engrosmarkt wird von einem leuchtenden Retro-Neon-Fruchtsymbol markiert – ein buntes Versprechen auf das, was drinnen passiert.
Um halb zwei in der Nacht herrscht in den Hallen in Altstetten bereits reger Betrieb. Palettentransporter surren durch die Gänge, Kisten werden gestapelt. Der Engrosmarkt ist der Bauch der Stadt: Jede Nacht werden hier rund 800 Tonnen Früchte und Gemüse umgeschlagen – mit einem Umsatz von über einer Million Franken. Hier wird gearbeitet, wenn die meisten in der Schweiz schon am Schlafen sind.
Auf der Einkaufsstrasse bieten über 50 nationale und internationale Handelsbetriebe sowie regionale Landwirtschaftsbetriebe ihre Ware an. «Frische ist das A und O bei Obst und Gemüse», sagt Bleiker. Man findet hier Radiesli, die gestern geerntet wurden und Melonen aus Italien, die noch nach Sonne duften – über 3500 Produkte, mehr als in den meisten Supermärkten.
Ein Marktplatz für Profis
Einkaufen dürfen hier nur registrierte Betriebe – der Markt ist nicht öffentlich zugänglich. «Also du und ich können hier nicht einkaufen», erklärt Bleiker. Wer hier einkauft, nimmt nicht eine 250-Gramm-Schale Erdbeeren mit, sondern gleich fünf oder zehn Kilo.
Früher hätte man auf der Einkaufsstrasse auch mal einen bekannten Kochprofi gesehen. Doch das habe sich in den letzten Jahren stark verändert – «viele Küchenchefs verlassen sich auf die Qualität ihrer Lieferbetriebe», erklärt Bleiker. Bei den meisten grossen Lieferanten kann man heutzutage bis spätabends bestellen für den nächsten Morgen.
Ein Stockwerk tiefer beginnt bei solch einem Gastrolieferant um drei Uhr morgens der Tag mit einer kurzen Lagebesprechung. «An der Morgeninfo wird besprochen, was es heute auf Lager gibt und ob es Änderungen gibt von den Kundinnen und Kunden», erklärt Co-Geschäftsführer Max Marinello vom Gemüse-Grosshandel «Marinello & Co.».
Für Spitzenrestaurants kann die Zusammenstellung einer Bestellung auch mal länger dauern. «Dill ist beim Dolder immer ein grosses Thema.» Der Dill müsse so kleine Blätter haben, dass er wie ein Bäumchen auf dem Teller stehen kann, erzählt Marinello. Er wird also immer von Hand verlesen. Danach wird gepackt und gefahren – so, dass die Ware pünktlich um 6:15 Uhr in den Küchen steht.
Die Zukunft des Engrosmarkts
Der Engrosmarkt bleibt im Wandel. «Der Bereich Früchte und Gemüse ist ein Wachstumsmarkt, weil die Bevölkerung wächst und die Konsumtrends dies steuert», so Bleiker. Der Bedarf nach Frische und Qualität sei ungebrochen hoch, auch, weil Gesellschaft und Politik zunehmend eine pflanzliche Ernährung fördern.
«Ich weiss aber nicht, wie es in den nächsten 50 Jahren aussieht». Klar sei aber, dass der Markt mehr als ein Handelsplatz ist – «er ist ein lebendiger Ort voller Begegnungen, Bewegung und frischer Ideen.» Trotz Digitalisierung und Online-Shops bleibe im Engrosmarkt das Menschliche zentral: «Unsere Produkte haben Geschmack und Sensorik. Das Auge und die Erfahrung der Mitarbeitenden, um Qualität und Frische einzuschätzen, ist um einiges besser als jede Technologie.»