«Am Anfang hat man wirklich Angst», sagt Jan Lochbihler mit ruhiger Stimme. Plötzlich sei da etwas Neues und Unbekanntes gewesen, mit dem umzugehen er habe lernen müssen, erzählt der 29-Jährige aus dem solothurnischen Holderbank weiter. «Diese neue Situation überhaupt zu akzeptieren, hat mir am Anfang am meisten Mühe bereitet.»
Die Infektion hat mich recht ausgebremst. Vor allem im Kraft- und Ausdauerbereich war an ein normales Training nicht zu denken.
Lochbihler ist einer der besten Gewehrschützen der Welt, in der Disziplin «Gewehr 50 Meter Dreistellung» hält er gar den Weltrekord: 2019 beim Weltcup in Rio de Janeiro schoss er 1188 von möglichen 1200 Punkten – der Lohn für jahrelanges hartes Training.
Mit 12 Jahren steht er erstmals im Schiessstand, mit 24 wird er Profi, lebt fortan in Magglingen und trainiert in Biel am Nationalen Leistungszentrum. Bis zu 40 Stunden pro Woche. Normalerweise. Doch seit der Corona-Infektion im vergangenen Dezember ist alles anders. «Die Infektion hat mich recht ausgebremst. Vor allem im Kraft- und Ausdauerbereich war an ein normales Training nicht zu denken.»
Kein Geschmacks- und Geruchssinn mehr
Fünf Tage hat Lochbihler normale Grippesymptome, danach während vier Wochen keinen Geschmacks- und Geruchssinn. Doch das war erst der Anfang: «Ich bekam Probleme mit Herz und Lunge. Schon bei der kleinsten Anstrengung wie Treppensteigen musste ich nach Luft schnappen, der Puls schnellte in die Höhe.»
«Ab diesem Zeitpunkt musste ich reagieren», sagt Lochbihler. Er wandte sich an den Verbandsarzt von Swiss Shooting, Christian Protte. Der begleitet den Sportschützen seither eng: «Weil es bis jetzt keine Literatur zu Long Covid gibt, haben wir versucht, uns Stück für Stück vorzutasten und jede Woche mehr belastet», erklärt Protte.
In Sportarten, in denen man die Grundausdauer maximieren muss, ist es einiges gefährlicher. Die Athleten fühlen sich unter Druck, das vorherige Niveau wieder zu erreichen.
Lochbihler ist nicht der einzige Schweizer Spitzensportler, der sich mit Corona infiziert hat. Genaue Zahlen dazu gibt es noch nicht. Aber er ist der einzige Schweizer Profisportler, von dem bekannt ist, dass er mit Long-Covid-Symptomen zu kämpfen hat.
Protte ist froh, dass bei Lochbihler die Ausdauer nicht zentral ist: «Ein Schütze muss keinen Marathon laufen. Er braucht das Ausdauertraining für seine Grundfitness, muss sie aber nicht maximieren. Denn seine eigentliche Leistung muss er vor allem konzentrativ abrufen. Aber in Sportarten, in denen man maximieren muss, ist es sicher einiges gefährlicher, weil sich die Athleten sofort unter Druck fühlen, das vorherige Niveau wieder zu erreichen.»
Viele Fragen und das Olympia-Ziel bei Lochbihler
Lochbihler plagten vor allem viele Fragen: Wie stark kann ich belasten? Kann ich überhaupt belasten? Muss ich an die Lungenmaschine? Wie geht es weiter? Kann ich überhaupt je wieder schiessen? Oder muss ich meine Karriere beenden?
«Diese Fragen können einen effektiv zerfressen. Aber als Sportler bin ich bewusst früh auf eine positive Schiene abgebogen und habe mich nicht zu sehr mit meinen Ängsten beschäftigt, sondern habe mir gesagt, dass ich alles für meine Genesung tue, meinen Körper schone. Das war wohl der Schlüssel.»
Heute geht es ihm schon «viel besser». Herzfrequenz und Belastung konnten gesteigert werden, und im Schiesskeller trainiert Lochbihler wieder intensiv für sein nächstes grosses Ziel: die Olympischen Spiele in Tokio.