Dass ausgerechnet Bayer Leverkusen das grosse Bayern München nach 11 Titeln in Folge entthronen würde, hätte vor der Saison kaum jemand für möglich gehalten. Denn nach der Meisterschale hatte die «Werkself» zuletzt vor über zwei Jahrzehnten ernsthaft gegriffen.
In der Saison 1999/2000 verspielte Leverkusen als Leader den Titel am letzten Spieltag mit einer Pleite gegen den Münchner Vorort-Klub Unterhaching. Der Mythos «Vizekusen» war geboren. 2001/2002 klassierte sich das Team um Captain Michael Ballack 1 Punkt hinter Dortmund auf Platz 2. Weil in jenem Frühling auch noch die Endspiele im DFB-Pokal und in der Champions League verloren gingen, prägte sich dieser Begriff ins Bewusstsein der Fussball-Welt ein. Den Spottbegriff liess das Unternehmen Bayer beim deutschen Patentamt in München gar als Marke schützen.
Die Eckpfeiler der Leverkusener Meistermannschaft:
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Bild 1 von 7. 5 Exponenten von Bayers Meistermannschaft. Granit Xhaka, Robert Andrich, Josip Stanisic, Jonathan Tah und Jeremie Frimpong. Bildquelle: imago images/Sven Simon.
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Bild 2 von 7. Florian Wirtz. Sein Markenzeichen sind die tiefen Stutzen und kleinen Schienbeinschoner, sein Marktwert übersteigt schon die 100-Millionen-Grenze. Der 20-jährige Wirtz dürfte wohl zum besten Spieler dieser Bundesliga-Saison gewählt werden. Spielerisch leicht tänzelt Wirtz durch die gegnerischen Abwehrreihen und skort (bis dato 11 Tore und 10 Vorlagen). Bildquelle: imago images/Laci Perenyi.
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Bild 3 von 7. Granit Xhaka. Denker und Lenker bei Bayer Leverkusen. Sein Wechsel von Arsenal zurück in die Bundesliga letzten Sommer für 15 Millionen Euro erwies sich als Glücksgriff. Der Nati-Captain bestritt fast 100 Prozent der möglichen Minuten und ist der Spieler mit den meisten erfolgreichen Pässen in allen Top-5-Ligen. Bildquelle: imago images/BSR Agency.
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Bild 4 von 7. Alejandro Grimaldo. Auch mit 28 Jahren kann man noch zur grossen Entdeckung werden. Der Spanier stiess im Sommer von Benfica Lissabon zur Werkself und verzauberte mit seinem linken Fuss die Bundesliga. 9 Tore und 12 Vorlagen sind fabelhafte Zahlen für einen linken Aussenverteidiger. Bildquelle: imago images/Beautiful Sports.
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Bild 5 von 7. Jeremie Frimpong. Der 23-jährige Niederländer bestätigte seine Leistungen aus der Vorsaison und totalisierte 8 Tore und 8 Vorlagen. Der Flügelflitzer, der aus der Jugend von Manchester City stammt, war ein stets belebendes Element im Bayer-Spiel. Bildquelle: imago images/Laci Perenyi.
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Bild 6 von 7. Jonathan Tah. Der deutsche Nationalspieler hatte massgeblichen Anteil daran, dass Leverkusen in der Bundesliga mit Abstand am wenigsten Gegentore kassiert. «Xabi Alonso hat mich auf ein neues Level gehievt. Jetzt bin ich noch unangenehmer, weil ich meinen Gegner immer im Blick habe und an ihm dran bin», lobte der 28-Jährige in der «Zeit» seinen Coach. Bildquelle: imago images/Jan Hübner.
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Bild 7 von 7. Victor Boniface. Auch wenn der Nigerianer 2024 bis zum 6. April verletzungsbedingt kein Ligaspiel bestreiten konnte, so wäre Leverkusens Höhenflug ohne ihn kaum möglich gewesen. In nur 17 Partien sammelte der 23-jährige Neuzugang aus Belgien 18 Skorerpunkte (10 Tore) und prägte die starke Hinrunde massgeblich. Gegen Bremen kam der 11. Saisontreffer dazu. Bildquelle: imago images/RHR Foto.
Bayer auf Rekordjagd
Dieses Stigma hat die Truppe um Trainer Xabi Alonso nun eindrücklich abgelegt. Bereits 5 Runden vor Schluss steht Leverkusen erstmals als Deutscher Meister fest. DFB-Sportdirektor Rudi Völler, selber langjähriger Bayer-Funktionär, freut dies besonders: «Den Begriff ‹Vizekusen› habe ich noch nie leiden können – jetzt ist er Geschichte und das absolut zurecht.»
Statt Häme zu ernten, könnte sich der Klub nun bald einen Superlativ einverleiben. Der Ex-Bundesliga-Stürmer Jan-Aage Fjörtoft hat «Vizekusen» schon mal in «Neverlusen» umgetauft. Bis zum Ende der Saison ungeschlagen zu bleiben, also eine «unbefleckte Empfängnis zu bestaunen» (Süddeutsche Zeitung), haben nicht einmal die Bayern geschafft.
Alonso als Glücksgriff
Die Frage stellt sich unweigerlich: Wer hat dieser Mannschaft das Sieger-Gen eingeimpft? Da wäre einmal Manager Fernando Carro zu nennen, der seit dem 1. Juli 2018 hauptverantwortlich die Geschäftsführung übernahm. Vor 2 Jahren stiess dann Simon Rolfes als Nachfolger von Rudi Völler dazu. Als der Klub Anfang Oktober 2022 auf den vorletzten Tabellenplatz abgerutscht war, entliess man den zuvor erfolgreichen Coach Gerardo Seoane und ersetzte ihn durch den Spanier Xabi Alonso.
Der mutige Entscheid (Alonso hatte noch nie die 1. Mannschaft eines Profi-Teams trainiert) sollte sich als Glücksgriff erweisen. Die Winner-Mentalität des Welt- und Europameisters sowie Champions-League-Siegers übertrug sich auf die Spieler. So gilt der Baske denn auch als Gesicht des Erfolgs. «Er hat aus einer sehr guten Mannschaft eine überragende Mannschaft geformt. Er ist ein überragender Trainer», schwärmt Völler.
Xhaka und Co. oder die gute Transfer-Politik
Ohne die geschickten Transfers im letzten Sommer hätte aber wohl auch Alonso Leverkusen nicht zum Titel führen können. Mit Granit Xhaka (von Arsenal) holte man einen Leader, mit Stürmer Victor Boniface (von Saint-Gilloise) einen Goalgetter und mit Alejandro Grimaldo (von Benfica Lissabon) vielleicht die Entdeckung der Bundesliga-Saison. Der 20-jährige Florian Wirtz, eines der deutschen Top-Talente, hat zudem die Schwelle zum Weltklasse-Spieler erreicht.
Die Reise könnte Bayer sogar noch weiter führen. Das Triple aus Liga, DFB-Pokal (Final gegen Zweitligist Kaiserslautern am 25. Mai) und Europa League (Viertelfinal gegen West Ham; 2:0-Sieg im Hinspiel) ist immer noch möglich. Wer keine Spiele verliert, holt auch alle Titel. So einfach ist das.