Nach drei Meistertiteln in Serie hat Gerardo Seoane YB im Sommer verlassen – und hat mit seinem Engagement beim Bundesligisten Bayer Leverkusen das nächste Treppchen auf der Karriereleiter erklommen. Im Interview mit SRF Sport spricht der 42-jährige Zentralschweizer über Schwierigkeiten sowie Ziele, Glück und Vorfreude.
Gerardo Seoane, seit wann sind Sie konkret in Leverkusen?
Seoane: Zuerst einmal ein dickes Hallo in die Schweiz. Ich bin seit Anfang Juli hier in Leverkusen. Ich habe mich ca. eine Woche vor dem Trainingsstart im Hotel einlogiert und habe versucht, die ersten Dinge zu planen. Mittlerweile sind wir seit 6 Wochen im Training und ich habe mich sehr gut eingelebt.
Trotz Corona-Massnahmen habe ich gespürt, dass der Fussball hier eine extreme Wichtigkeit hat.
Sind Sie noch immer im Hotel?
Ja, ich bin noch im Hotel, aber es ist absehbar, dass ich bald in eine Wohnung ziehen kann. Aber für den Anfang war es sehr gut, da man viele Leute und Abteilungen kennenlernen muss. Es sind sehr kurze Wege, da das Hotel im Stadion ist, vom Zimmer in die Kabine hat man weniger als eine Minute.
Die Meisterschaft hat zwar noch nicht angefangen – können Sie uns gleichwohl sagen, was alles anders ist im Vergleich zum Job bei YB?
Die Bundesliga ist eine der Topligen, da ist es klar, dass die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit viel, viel grösser ist. Trotz Corona-Massnahmen habe ich gespürt, dass der Fussball hier eine extreme Wichtigkeit hat. Auch die Grösse des Vereins und die Anzahl Mitarbeiter sind anders, die Infrastruktur ist extrem auf den Fussball ausgerichtet. Man hat Trainingsmöglichkeiten direkt im Haus – das sind ja oft auch Schwierigkeiten, die man in der Schweiz antrifft.
Wir hatten mit Überschwemmungen und einer Explosion in der Nähe Ereignisse, die uns einige Trainingstage genommen haben und die gar zu einer Testspielabsage führten.
Sie haben gesagt, dass Leverkusen vor dem Saisonstart noch in keinem Bereich top ist – wie viel Prozent fehlen noch?
Fussball ist keine Mathematik, das kann man nicht in Prozent ausdrücken. Aber es ist so, dass wir eine holprige Vorbereitung hatten. Durch die EURO oder die Copa America fehlten uns die ersten 3 Wochen im Training viele Spieler – einige sogar 4, 5 Wochen, da sie bei Olympia waren. Wir konnten nie über längere Zeit zusammen trainieren. Aber wir sind da nicht die Einzigen. Das hat das Ganze etwas verzögert. Doch als neuer Trainer würdest du gerne alle Spieler bei dir haben. Dann hatten wir mit Überschwemmungen und einer Explosion in der Nähe Ereignisse, die uns einige Trainingstage genommen haben und die gar zu einer Testspielabsage führten. Wir waren gefordert, immer nach Lösungen zu suchen. Wir haben auch noch nicht den kompletten Kader.
Kommt der Saisonstart für Leverkusen also zu früh?
Nein, denn wir wollen unbedingt Meisterschaftsspiele haben. Wir wollen uns mit den Konkurrenten messen. Es ist ein willkommener Start. Aber wir wissen, dass die ersten 2, 3 Wochen eine Herausforderung werden. Wir müssen aus den momentanen Möglichkeiten das Maximum herausholen und innerhalb der Mannschaft eine gewisse Solidarität entwickeln.
Dank YB bin ich auch ein besserer Trainer geworden – dafür bin ich extrem dankbar.
Leverkusen war im Vorjahr Sechster, müsste vom Marktwert her aber Rang 4 belegen. In den letzten Jahren hat man jedoch nur ein Mal die Champions League erreicht. Erwartet Sie eine komplizierte Aufgabe?
Diese Marktwertberechnungen sind immer hypothetisch. Aber mit Bayern, Dortmund und Leipzig gibt es drei Mannschaften, die über allen anderen stehen. Dann gibt es vier, fünf Mannschaften, die ich in einem ähnlichen Bereich sehe. Da gehören für mich Frankfurt, Wolfsburg, Hertha Berlin, eventuell auch Hoffenheim und Stuttgart dazu – gegen diese Mannschaften wollen wir uns durchsetzen.
Sie hatten als Trainer bislang immer Erfolg – könnten Sie überhaupt mit Misserfolg umgehen, sollte sich dieser in Leverkusen einstellen?
Es ist das Ziel eines jeden Trainers, dass man rechtzeitig zu erkennen versucht, was man ändern muss, damit man nicht in eine schwierige Situation kommt. Ich hatte sicher auch ein Quäntchen Glück in gewissen Situationen mit den Wegen, die ich gewählt habe. Und ich hatte grosses Glück, dass mir YB mit Christoph Spycher das Vertrauen geschenkt hat. Dank ihnen bin ich auch ein besserer Trainer geworden – dafür bin ich extrem dankbar. Wir hatten aber trotz der erfolgreichen Jahre auch schwierige Momente, haben auch einige Ziele verfehlt. Dabei konnte ich einiges daraus lernen, wie man sich verhält.
Wie aufgeregt sind Sie vor dem Auftakt gegen Union Berlin?
Ich verspüre eine grosse Vorfreude, man merkt schon die ganze Woche, dass es losgeht. Die Medienlandschaft berichtet täglich, die letzten Transfers gehen über die Bühne, die TV-Stationen berichten über den Start. Wir freuen uns alle extrem. Es ist sehr schön, dass ich auf einen Schweizer Trainerkollegen treffe. Urs Fischer macht einen blendenden Job. Union Berlin ist bekannt für gute Stimmung im Stadion. Es ist toll, dass Zuschauer zur Hälfte zugelassen werden.
Das Gespräch führte Marco Nüssli.