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FCSG-Chefscout im Interview «Auch mit Transfer Room bleiben die Fragen dieselben»

Transfer Room hat das Potenzial, das Transfergeschäft auf den Kopf zu stellen. Das meint St. Gallens Chef-Scout Nnamdi Aghanya. Im Interview erklärt der 45-Jährige, wie die Plattform funktioniert und wie die «Espen» sie nutzen.

SRF Sport: Nnamdi Aghanya, was muss man sich unter Transfer Room vorstellen?

Nnamdi Aghanya: Für mich ist es in erster Linie ein gutes Beispiel für Digitalisierung im Fussball. Transfer Room gibt uns die Chance, mit vielen anderen Klubs in Verbindung zu kommen. Ich glaube, das Potenzial, unsere ganze Branche zu ändern, ist durch Transfer Room da.

Wie funktioniert Transfer Room genau?

Klubs haben auf der Plattform die Möglichkeit, ihr ganzes Kader zu hinterlegen; speziell Spieler, die sie verkaufen oder ausleihen wollen. Suchende Vereine können nachfragen, wie die Situation bei einem Spieler ist, an dem man interessiert ist. Das Besondere – der «Game Changer» – ist der direkte Kontakt zu vielen anderen Klubs aus sehr vielen verschiedenen Ländern.

Die letzte virtuelle Sitzung habe ich genutzt, um zu fragen, wie die anderen während der Corona-Zeit scouten. Dazu habe ich interessante Infos bekommen, die ich für meine Arbeit übernehmen konnte.

Was ist der Vorteil daran?

Was sich stark verbessert, ist die Qualität der Informationen. Für Spieler, die weit weg von den «normalen» Märkten sind, musste man über Agenten gehen. Zwar wird es das auch weiterhin geben, aber jetzt kann man sich die Infos auch direkt vom Klub holen, weil man einen direkten Kontakt aufgebaut hat. Einerseits sind diese Daten genauer, andererseits hat man auch die Chance, nachzufragen. Wenn mich zum Beispiel interessiert, wie schnell ein Spieler auf den ersten 30 Metern ist, kann mir der andere Klub diese Zahlen schnell liefern. Das hilft enorm bei der Beurteilung, ob ein Spieler in unser System passt oder nicht.

Nnamdi Aghanya

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Seit bald 7 Jahren arbeitet der Nigerianer für die Ostschweizer, zunächst als Videoanalyst, seit 2018 als Chef-Scout. Aghanya und sein Team nutzen Transfer Room zur Unterstützung.

Wie geht man vor, wenn man einen Spieler sucht?

Man kann dem ganzen Markt signalisieren, was man sucht und dabei zum Beispiel Position, Alter oder weitere Profildaten wie Schnelligkeit, Beidfüssigkeit oder Grösse angeben. Andere Klubs können eigene Spieler anbieten, die auf unsere Suche passen. Dann folgt die eigentliche Arbeit. Man muss sich den Spieler live anschauen und weitere Informationen einholen. Neu ist die Chance, in direkten Kontakt mit dem ganzen Fussballmarkt zu treten.

Neben der virtuellen Suche werden auch physische Treffen im «Speed-Dating-Stil» angeboten ...

3 oder 4 Mal im Jahr wird eine Konferenz organisiert, zu der man hingehen kann und sich 15 Minuten mit einem Verantwortlichen eines anderen Klubs austauschen kann. Wir haben das stark genutzt und konnten unser Netzwerk ausweiten. Zu vielen Entscheidungsträgern in Südamerika und Asien habe ich heute viel mehr Kontakt als früher. Wenn mir jetzt ein Agent einen Spieler anbietet, kenne ich deutlich mehr Leute, die den betreffenden Spieler einschätzen können.

Mit Transfer Room können kleine Klubs ihren Markt vergrössern. Vereine, die bislang «nur» die Challenge League oder die österreichische Bundesliga scouteten können jetzt online Mannschaften weltweit kontaktieren.

Wird Transfer Room das Transferwesen in St. Gallen völlig auf den Kopf stellen?

Dafür ist es noch zu früh. Transfer Room ist eine sehr interessante Entwicklung im Fussball. Aber wir gehen da Schritt für Schritt vor und haben über Transfer Room noch gar keinen Transfer abgewickelt. Die letzte virtuelle Sitzung habe ich aber zum Beispiel genutzt, um zu fragen, wie die anderen während der Corona-Zeit scouten. Dazu habe ich interessante Infos bekommen, die ich für meine Arbeit übernehmen konnte.

Glauben Sie, dass bald jeder Schweizer Profiklub dabei sein wird?

Ich habe Transfer Room relativ früh genutzt, damals waren nicht viele Klubs dabei. Aber jetzt ist es unglaublich, wie viele Vereine das Tool nutzen. Auch der Ruf ist gut und es wird nicht mehr lange dauern, bis sehr viele Teams aus der Schweiz aufspringen werden. Beim letzten Treffen – das wegen des Coronavirus virtuell stattfand – waren aus der Schweiz auch YB, Basel und Lugano dabei.

Wo liegt die Chance für kleinere Klubs?

Mit Transfer Room können kleine Klubs ihren Markt vergrössern. Vereine, die bislang «nur» die Challenge League oder die österreichische Bundesliga scouteten, weil ihr Scouting- oder Transfer-Budget nicht grösser war, können jetzt online Mannschaften weltweit kontaktieren. Aber auch wenn man plötzlich mehr Spieler kennt, bleiben die Frage noch immer dieselben wie zuvor: Wie teuer ist der Spieler? Können wir ihn uns leisten? Will der Spieler überhaupt zu uns?

Das Gespräch führte Joel Stalder.

Radio SRF 1, Abendbulletin, 29.06.2020 18:45 Uhr

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