SRF-Experte Bruno Berner spricht im Interview über Highlights, Neuerungen im Taktik-Bereich und Überraschungen.
SRF Sport: Bruno Berner, was sind Ihre Erkenntnisse der EURO 2020?
Bruno Berner: Die kleineren Mannschaften haben aufgeholt und sind den Giganten noch näher gekommen. Und dass es noch mehr über den Teamspirit, das Füreinander und Miteinander gegangen ist. Individualisten, die den Unterschied gemacht haben, gab es zwar, aber es ging mehr über das Team.
Was waren die Neuerungen im taktischen Bereich?
Wie immer kann man sich überlegen, mit 3 oder 4 Verteidigern zu spielen. Oder mit 1, 2 oder 3 Stürmern. Wir haben vieles gesehen. Mehr denn je war Flexibilität gefragt – vor und während dem Spiel. Diejenigen Mannschaften, die sich schnell anpassen konnten, hatten grosse Vorteile an dieser EURO.
Am 12. Juni, als Eriksen umgekippt ist, hat die Menschlichkeit gewonnen.
Welches war das sportliche Highlight?
Das Spiel Schweiz gegen Frankreich. Es war an Dramaturgie nicht zu überbieten. Die Führung, der verschossene Penalty, die Wende innert 4 Minuten, das 1:3, dann das 2:3, das 3:3 durch Joker Gavranovic und das Elfmeterschiessen, in welchem ebenfalls die Einwechselspieler gerockt haben und der Superstar verschossen hat. Der Weltmeister war draussen. Ein absolut geniales Spiel. Auch die Partie Kroatien gegen Spanien, die früher an diesem Tag stattgefunden hatte, war aussergewöhnlich.
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Was hat Ihnen neben dem Platz am besten gefallen?
Am 12. Juni, als Eriksen umgekippt ist, hat die Menschlichkeit gewonnen. Der Schiedsrichter, der schnell reagiert hat, die Ärzte, die in Sekundenschnelle gewusst haben, was sie tun müssen und die Spieler aus beiden Lagern, die zusammengestanden sind. Auch das ganze Stadion ist zusammengerückt, finnische und dänische Fans. Für Eriksen war es Glück im Unglück, dass die richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren.
Locker in der Gruppenphase und mit begeisterndem Fussball, aber im Achtelfinal haben sie die Leistung nicht auf den Platz gebracht.
Gab es auch «Lowlights» bei dieser EM?
Zuerst einmal hätte das Spiel Finnland - Dänemark nicht weitergespielt werden dürfen. Man hätte eine Nacht drüber schlafen und die Verantwortung nicht der Mannschaft geben sollen. Man kann in so einem Moment keine Leistung bringen. Dann wäre da auch noch die Penaltyszene im Halbfinal zwischen Dänemark und England. Ich hätte mit der heutigen Technologie erwartet, dass man die Hilfe des VAR in Anspruch nimmt. Auch wenn es gegen das Protokoll gewesen wäre, denn diese Situation war zu wichtig. Ich hätte vom Hauptschiedsrichter dann erwartet, dass er sich die Szene am Bildschirm anschaut und die Verantwortung übernimmt.
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Wer war die positive Überraschung aus Ihrer Sicht?
Dänemark ist eine der Mannschaften, welche versuchen, die Giganten ins Wackeln zu bringen. Die Schweiz hat mit dem historischen Sieg gegen Frankreich überrascht; gegen Spanien hat es einfach nicht sein wollen. Und auch die Tschechen muss ich nennen, die hatte ich überhaupt nicht auf dem Radar, aber auch sie sind in den Viertelfinal gekommen.
Und wer war die negative Überraschung?
Die Niederländer. Zwar locker in der Gruppenphase und dort mit begeisterndem Fussball. Aber im Achtelfinal gegen die Tschechen haben sie die Leistung nicht auf den Platz gebracht, sind nicht als Einheit aufgetreten. Es hat mich sehr überrascht, dass sie nach dieser Gruppenphase und mit dieser Qualität im Team so früh nach Hause gegangen sind.
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Das Gespräch führte Tobias Wüst.