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Women’s EURO Gleiches Spiel – ungleiche Leistung

Frauenfussball steht oft im Schatten des Männerfussballs – zu Unrecht. Gespielt wird nach denselben Regeln, auf gleich grossen Feldern mit gleich grossen Toren und gleich schweren Bällen. Doch dabei wird ein entscheidender Faktor übersehen: Frauen müssen auf dem Feld physisch überall mehr leisten als Männer. Aber wieviel mehr eigentlich?

Ein Beispiel: Frauen spielen mit denselben Bällen wie Männer – obwohl diese für sie schwerer und unhandlicher sind. Dreht man den Spiess um, stellt sich die Frage:

Der Ball hätte einen Umfang von 76 cm (Ballgrösse 7) und entspräche in Grösse und Gewicht einem Basketball. Woher aber kommen diese Berechnungen?

Studie zeigt: So viel mehr leisten Fussballerinnen auf dem Platz

Die norwegischen Bewegungsforscher Arve Vorland Pedersen und Ragna Stalsberg von der Universität Trondheim haben erstmals genau berechnet, wie gross der körperliche Mehraufwand von Fussballerinnen tatsächlich ist.

Ihr Ergebnis: Würde man die Bedingungen anpassen, damit Männer denselben Aufwand betreiben wie Frauen heute, müsste sich fast alles ändern – das Feld wäre deutlich grösser, die Tore höher, der Ball schwerer und selbst die Spielzeit länger. Fussball unter fairen Bedingungen – aber diesmal für Männer.

SRF Einstein hat die Untersuchungen der beiden Forscher in ein reales Experiment umgesetzt.

Das Experiment von SRF Einstein:

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Legende: Ein Ausschnitt aus dem Experiment von SRF Einstein. SRF

Was wäre, wenn Männer unter denselben körperlichen Anforderungen Fussball spielen müssten wie Frauen heute?

SRF Einstein hat genau das getestet: Die Männer-Nachwuchsteams U19/U17 des FC Thun und des FC Winterthur treten unter angepassten Bedingungen gegeneinander an – auf einem viel grösseren Spielfeld, deutlich grösseren Toren und einem grösseren Ball.

Gespielt wird mit den neuen Dimensionen auf einem Polo-Rasen, denn bestehende Sportplätze wären dafür schlicht zu klein.

Auch die Spielzeit wird angepasst. Für die Spieler eine fordernde Erfahrung, für Fussballerinnen eine stille Bestätigung. 

Bereits die Grösse des Balls stellte die jungen Fussballer vor einige Herausforderungen.

Ein weiterer, gewichtiger Faktor für einen fairen Vergleich der Leistung zwischen Frauen und Männern im Fussball ist die Torgrösse.

Der Unterschied zwischen Männer- und Frauenfussball wird besonders bei den Torhüterinnen sichtbar: Während Frauen im Durchschnitt 1,70 Meter gross sind, hüten auch sie das gleiche Tor – 7,32 Meter breit und 2,44 Meter hoch – wie die Männer. Diese aber mit einer durchschnittlichen Körpergrösse von 1,90 Meter. 

Für Frauen ist es deshalb deutlich schwieriger, präzise geschossene Bälle abzuwehren. Alleine die Sprungkraft ist bei Frauen kleiner als bei Männern. Doch wie gross müsste ein Tor sein, damit Männer unter fairen Bedingungen mit Frauenleistungen vergleichbar wären?

Die Antwort überrascht: Ein gerechtes Tor für Männer wäre 8,40 Meter breit und 2,72 Meter hoch. Selbst ein 1,90 Meter grosser Torwart hätte darin bei präzisen Schüssen wenig Chancen. 

Das Spielfeld ist für Männer und Frauen heute gleich gross. Nach SFV-Regelung liegt der Standard in der Super League bei 105x68m, in tieferen Ligen etwas weniger (100x64). Der Fünfmeter-Raum beginnt exakt 5,5 m seitlich vom Torpfosten, der 16-Meter-Raum bei 16,5 m. Das entspricht dem internationalen FIFA-Standard. Für ein faires Fussballspiel für Männer müsste das Feld grösser sein.  

Das Feld wird insgesamt rund 20 Prozent grösser: Neu ist es 132x84 Meter. Der Fünfer wird zum «Siebner», der 16er zu einem «21er». Ein Elfmeter wird aus 14 Meter Distanz geschossen und eine Eckball-Flanke muss 42 Meter weit vors Tor gekickt werden. Das entspräche nun einem für Männer fairen Spielfeld, unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Fakten zu den anthropometrischen und physiologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau. 

Fussballerinnen und Fussballer tragen längst nicht mehr nur Trikots und Stollenschuhe – sondern auch Datenwesten. Diese zeichnen detailliert Körper- und Bewegungsdaten auf, etwa die zurückgelegte Laufdistanz oder die Anzahl an Sprints über eine bestimmte Geschwindigkeit.

Ein reguläres Spiel dauert derzeit 90 Minuten. Doch rechnet man den durchschnittlichen Leistungsunterschied zwischen Männern und Frauen fair mit ein, müssten Männer eigentlich 2 x 56 Minuten spielen. Das würde bedeuten: Die laufstärksten Spieler kämen auf 12 bis 13 Kilometer – deutlich mehr als die üblichen rund 10 Kilometer auf dem klassischen Spielfeld. 

130 Kilometer in 112 Minuten

Ein entsprechendes Experiment unter diesen neuen Spielbedingungen lieferte eindrückliche Zahlen: Der ausdauerndste Spieler absolvierte beeindruckende 56 Sprints mit einer Geschwindigkeit von über 20 km/h. Insgesamt legte das gesamte Team in den verlängerten 112 Minuten fast 130 Kilometer zurück. Eine enorme körperliche Belastung – für Kondition und Substanz gleichermassen. 

Bei Freistössen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen – vor allem aufgrund der körperlichen Voraussetzungen. Eine Frauen-Freistossmauer ist bei gleicher Spielerzahl im Vergleich schmaler und niedriger als die der Männer.  

Während die Männer mit einem Abstand von 9,15 Metern zum Ball einen vertikalen Winkel von 11,25 Grad vor dem Tor abdecken, ist die Frauenmauer niedriger: Sie blockiert nur 10,4 Grad in der Höhe.

Würde man faire Bedingungen schaffen, müsste die Männer-Mauer weiter entfernt stehen – nämlich 10 Meter statt 9,15 Meter vom Ball. 

Diese Ausgangslage benachteiligt Torhüterinnen erheblich: Die Schützin hat mehr freien Raum vor sich, und da Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger hoch springen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Freistosses deutlich.

Auch die Schiris sind gefordert

Das Experiment zeigt: Auch das Schiedsrichter-Trio ist auf so einem Platz körperlich mehr gefordert. Der Schiedsrichter rennt ebenfalls etwa 12 Kilometer weit (rund 20 Prozent mehr als bei normalen Spielen). Für die Linienrichter verlängerten sich die Wege entlang der Seitenlinien zwar ebenfalls, doch deren zusätzliche Belastung bleibt gering.

Mehr zur wissenschaftlichen Forschung zum Frauenfussball und Bilder des Experiment-Spiels sehen Sie in der ganzen Sendung von SRF Einstein:

Ball und Laufwege waren die grössten Herausforderungen

Ungewohnt war für viele Beteiligte vor allem der grössere, schwerere Ball: Hohe, weite Eckbälle blieben die Ausnahme – stattdessen wurde häufig kurz ausgeführt. Die deutlich längeren Laufwege forderten ihren Tribut: Es wurde oft gewechselt.

Nach 112 intensiven Minuten lautete der Spielstand 3:3. Bezüglich einer Verlängerung einigte man sich pragmatisch – man liess sie aus. Im anschliessenden Penaltyschiessen setzte sich der FC Winterthur knapp mit 6:5 durch.

Für alle Beteiligten war es eine körperlich fordernde Grenzerfahrung – und ein faszinierender Perspektivwechsel. Das Spiel auf dem «fairen» Männerfeld machte eindrucksvoll sichtbar, welche Leistung Fussballerinnen heute auf dem herkömmlichen Platz tatsächlich abrufen müssen.

Women's EURO

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Impressum

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Legende: SRF

Christian Bachmann, Dominique Marcel Iten (Redaktion), Fabian Schwander (Frontend-Entwicklung), Marc Heer (Design)

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