Ein Tag vor 24 Jahren prägte Alison dos Santos' Leben: Das damals 10 Monate alte Kleinkind erlitt bei einem Haushaltsunfall durch siedendes Öl schwerste Verbrennungen. Die rasche Reaktion seines Grossvaters rettete ihm das Leben. Geblieben sind auffällige Narben an Gesicht, Stirn, Brust und Armen.
Die Entstellung zog sich durch Dos Santos' Kindheit und Jugend: «Ich hatte eine schwere Zeit», sagte der Brasilianer kürzlich in einem Leichtathletik-Podcast. Sogar seine Freunde hätten sich bei Streitereien manchmal über die Narben lustig gemacht, «weil sie wussten, dass es mir weh tat».
Der Sport habe ihm geholfen, eine neue Welt zu erschliessen – eine Welt ohne das Gefühl, «anders» zu sein. In der Leichtathletik hätten ihn die Menschen nicht in erster Linie als den Mann mit den Narben gesehen, sondern als netten Kerl mit Humor und Empathie, der zudem schnell rennen konnte.
Weltmeister 2022
Und das zeigt Dos Santos über die 400 m Hürden seit Jahren: Als 21-Jähriger holte er im legendären Tokio-Final (dem schnellsten Rennen aller Zeiten) Olympia-Bronze hinter Karsten Warholm (NOR) und Rai Benjamin (USA). Im Jahr darauf wurde er in Eugene Weltmeister, erneut Olympia-Bronze gab es letztes Jahr in Paris. Zweimal gewann er die Diamond-League-Gesamtwertung.
Auch an den derzeitigen Titelkämpfen gehört der Mann aus Sao Joaquim da Barra nördlich von Sao Paulo zu den engsten Medaillenanwärtern. Den Vorlauf beendete er nur als Zweiter, weil er – klar in Führung liegend – extrem auf die Bremse trat. Seine grössten Rivalen sind erneut Warholm und Benjamin. Die Halbfinals finden am Mittwoch statt, der Final am Freitag.
Dos Santos ist überzeugt, dass er mit einer Lebensgeschichte vermitteln kann, «dass jeder einzigartig, jeder speziell auf seine Weise ist. Und du kannst Grossartiges erreichen, egal wie schwierig die Umstände sind. Du kannst daran arbeiten und versuchen, besser zu werden», sagt der 25-jährige.