SRF-Experte und Co-Kommentator Roman Schweizer äussert sich im Interview über die schwerwiegende Verletzung von Giulia Steingruber.
SRF Sport: Roman Schweizer, was war Ihre erste Reaktion auf die Verletzung von Giulia Steingruber?
Roman Schweizer: Es hat mich erschüttert. Eine Knieverletzung im Frauen-Kunstturnen ist etwas vom Schlimmsten, das passieren kann. Und für Giulia Steingruber mit Abstand die schlimmste Verletzung in der Karriere.
Was bedeutet diese Verletzung für die Karriere von Steingruber?
Ich glaube daran, dass sie wieder zurückkommt. Sie ist eine starke Persönlichkeit. Sie hat langfristige Ziele und sagte auch immer wieder, dass sie mit Olympia – angespielt auf den Bodenfinal in Rio – noch eine Rechnung offen hat. Aber dieser Kreuzbandriss ist nicht vergleichbar mit früheren Verletzungen.
Giulia Steingruber sagte immer wieder, dass sie mit Olympia noch eine Rechnung offen hat.
Wie geht es für Steingruber nun weiter?
Der Schock wird sicherlich noch lange tief sitzen. Aber irgendwann kommt der Tag, an dem man wieder nach vorne schaut. Bis Olympia 2020 ist es noch eine lange Zeit, sie kann auf jeden Fall wieder fit werden. Sie wird die Elemente, die sie momentan so sicher draufhat, auch wieder zeigen. Die neu einstudierten Sprünge wird sie aber nicht wie gewünscht in Ruhe im Training aufbauen können. Davon wird sie sich wohl verabschieden müssen. Für Steingruber beginnt nun eine völlig neue Zeitrechnung.
Inwiefern?
Steingruber trainierte ihren eigenen «Steingruber»-Sprung (Yurtchenko mit Doppelsalto rückwärts am Sprungtisch). Für diesen neuen, technisch schwierigen Sprung braucht es einen methodischen Aufbau von mindestens einem Jahr. Hinzu kommt die Physis. Man muss zu 100 Prozent topfit sein. Wenn das Vertrauen in das Knie nicht bei 100 Prozent ist, wird sie so einen Sprung nie machen.
Fragen über die Zukunft und den Sinn werden automatisch kommen.
Welche Rolle spielt der mentale Faktor?
Das kann man zu diesem Zeitpunkt nur schwer abschätzen. Steingruber wird nun für eine lange Zeit kaum trainieren können. Sie wird deshalb viel Zeit haben, um sich Gedanken zu machen. Und dabei werden automatisch auch Fragen über die Zukunft und den Sinn der Sache auftauchen.
Was bedeutet Steingrubers Ausfall für das Schweizer Kunstturnen?
Es ist natürlich der absolute Hammer, im negativen Sinn. Sie ist im Frauen-Kunstturnen seit vielen Jahren das Aushängeschild, auch auf internationaler Ebene. Nun fällt die Schweizer Leaderin und das Zugpferd lange aus. Das ist ein bitterer Rückschlag.
Werden wir die alte Giulia Steingruber noch einmal sehen?
Das denke ich schon. Denn mit all ihren Elementen, die sie problemlos beherrscht, kann sie auch in Zukunft an Grossanlässen um die Medaillen kämpfen. Das Problem ist nur, dass sie sich in der Vergangenheit von Saison zu Saison steigern konnte, weil sie immer wieder neue Elemente trainiert und gezeigt hat. Das wird nun vorerst nicht möglich sein.
Sendebezug: Radio SRF 1, Abendbulletin, 09.07.2018 17:12 Uhr