Die Hüfte ist mittlerweile aus Kunststoff, einen Meter Darm haben sie ihm weggeschnibbelt, das Herz zickt – doch seinen Biss hat der Kannibale nicht verloren: Eddy Merckx poltert noch regelmässig und multimedial über verweichlichte Radprofis und über langweilige Rennen, feiert aber Tadej Pogacar und Remco Evenepoel – weil sie ihm, dem Grössten, eben ähnlich sind.
Am Dienstag wird Merckx, der Sportgott Belgiens, 80 Jahre alt. 525 Siege hat er in 18 Jahren gefeiert. Der erfolgreichste Fahrer der «Neuzeit», Mark Cavendish, kommt auf kein Drittel davon. Und weil Merckx zwar auf dem Rad ein Kannibale war, aber auch ein zugänglicher feiner Sportsmann, lieben ihn die Belgier bis heute abgöttisch.
Am Donnerstag empfing sogar Belgiens König Philippe das lebende Staatsdenkmal und gratulierte vorab. «Das macht mich sehr glücklich», sagte der Jubilar, «dabei sind meine Rennen doch schon so lange her.» Aber sie wirken nach, beim König wie beim Volk.
Palmarès sucht seinesgleichen
Das Palmarès von Merckx ist beeindruckend. Unter anderem gewann er 7 Mal Mailand-Sanremo, je 5 Mal die Tour de France, den Giro und Lüttich-Bastogne-Lüttich. Je 3 Mal Paris-Roubaix und die Strassen-WM, je 2 Mal die Flandern- und die Lombardei-Rundfahrt. Und auch in der Schweiz war Merckx erfolgreich, eroberte je einmal die Tour de Suisse (1974) und die Tour de Romandie (1968).
Sein erster Tour-Sieg 1969 war an Dominanz nicht zu überbieten: Er gewann sechs Etappen, das Gelbe Trikot, Sprintertrikot, Bergwertung, Kombinationswertung, den Preis für den kämpferischsten Fahrer und die Teamwertung. Kannibalismus pur – den noch ein halbes Jahrhundert später Hunderttausende auf den Strassen Brüssels feierten, als die Tour de France 2019 zu Ehren von Merckx in Brüssel gestartet wurde.
Mehr als Siege gefressen
Belgiens Merckx-Liebe ist so gross, dass dessen dunkle Seiten heute quasi keine Rolle spielen. 1969 wurde er unter dubiosen Umständen wegen Dopings vom Giro ausgeschlossen, die Sperre vor der folgenden Tour – richtig, die legendäre – aufgehoben. Weitere positive Tests folgten 1973 und 1977. Der Kannibale hat, das ist heute Konsens, mehr als Siege gefressen. Es sind dunkle Flecken, für die es in Merckx Heldengeschichte aber wenig Platz gibt. Und die seiner Beliebtheit nur wenig Abbruch tun.
Sein Name wird nicht verbleichen. Alle titanischen Radsport-Leistungen werden weiterhin am Kannibalen gemessen. Dieser grämt sich nur, dass er den Vergleich mit Pogacar oder Evenepoel nicht auf der Strasse austragen konnte «Zu gerne», sagte er zum 80. der Nachrichtenagentur AFP, «wäre ich gegen die heutige Generation angetreten.»