Sven Montgomery, mit Chris Froome hat der grosse Favorit die Tour de France gewonnen. Haben Sie ihm zugetraut, mit dem Druck so gut klar zu kommen und alle Angriffe so souverän abzuwehren?
Montgomery: Absolut. Froome hat bei anderen grossen Rundfahrten bewiesen, dass er ganz vorne mitfahren kann, auch wenn er noch keine davon gewonnen hatte. Für mich stellte sich die Frage, ob es ein anderer Fahrer schafft, ihn zu gefährden. Alberto Contador hat aber sein Niveau im Vorfeld nie erreicht. Gemäss seinem Team ist er nicht an die Watt-Werte herangekommen, welche er eigentlich fahren kann.
Wie ist erklärbar, dass unter Weltklasse-Fahrern, die allesamt hoch professionell trainieren, einer derart herausragt?
Froome ist talentierter als viele andere Fahrer. Und von denen, welche über ein ähnliches Talent verfügen, ist er derjenige, dessen Formaufbau genau gepasst hat. Er war seit Anfang Jahr gut unterwegs, war in den Vorbereitungsrennen überlegen. Dieses Selbstbewusstsein hat wohl den Unterschied ausgemacht. Ausserdem ist Froome unter den Favoriten der Einzige, der sowohl in flachen Zeitfahren als auch in Bergetappen zuschlagen kann.
Die Gefahr, dass ein Fahrer bei Sky ausbrennt, ist gross.
Kann Froome den Radsport in den kommenden Jahren dominieren? Wer könnte ihn am ehesten herausfordern?
Für Froome wird es enorm schwierig, seinen Triumph zu wiederholen. Die Trainingsintensität und Disziplin im Sky-Team ist gewaltig. Da ist die Gefahr gross, dass ein Fahrer ausbrennt. Das hat sich beim letztjährigen Sieger Bradley Wiggins gezeigt. Mit dem Erreichen eines grossen Ziels fällt ein riesiger Druck ab und ein Athlet muss die ganze Spannung von neuem aufbauen. Das gelingt nur den ganz grossen Champions. Zudem macht mit Nairo Quintana ein junger Fahrer gehörig Druck. Er ist erst 23-jährig und somit zu einer weiteren Leistungssteigerung fähig. Er könnte Froome den Rang ablaufen.
Wie sehen die Perspektiven für Froomes wichtigsten Helfer Richie Porte aus?
Er könnte nach Wiggins und Froome der nächste Fahrer sein, den das Team pusht. Auch wenn Porte seine Ambitionen nicht so deutlich angemeldet hat, wie dies Froome im letzten Jahr getan hat.
Welche Bilder behalten Sie persönlich von dieser Jubiläums-Tour im Kopf?
Der Start in Korsika war landschaftlich wunderschön. Die Etappe am «Quatorze Juillet» auf den Mont Ventoux war von der Atmosphäre her fantastisch, ebenso die zwei Aufstiege auf die Alpe d’Huez. Aus sportlicher Sicht hat mich die Ausgewogenheit der Strecke begeistert. Obwohl Froome bald wie der überlegene Sieger ausgesehen hat, habe ich immer daran geglaubt, dass man ihn ernsthaft in Bedrängnis bringen kann.
Wäre Movistar etwas cleverer gefahren, hätte es Froome arg in Verlegenheit gebracht.
Eigentlich lief ja sehr vieles nach Drehbuch. War die Tour wirklich spannend?
Im letzten Jahr hat Sky alles beherrscht und jedes Rennen erdrücken können. Heuer war das ganz anders. Das Team um Froome war am Anschlag, der Leader musste sich alleine verteidigen. Wäre das Team Movistar um Quintana etwas cleverer gefahren, hätte es Froome arg in Verlegenheit gebracht. Wer die Tour nur gelegentlich verfolgt hat, für den mochte das Geschehen im Gesamtklassement eintönig anmuten. Für Radsport-Fans war das Rennen aber lange enorm spannend. Froome hat Schwächen gezeigt: Hätte er beim Aufstieg auf die Alpe d’Huez nur wenige Kilometer früher seinen Hungerrast erlitten, wäre das fatal für ihn gewesen.
Ein Sieger, der auch auf Doping-Fragen gelassen reagiert, gute Stimmung am Strassenrand, keine ganz schweren Stürze und bisher auch kein positiver Dopingbefund. Hätte die Tour aus Sicht der Veranstalter überhaupt besser verlaufen können?
Einzig das schlechte Abschneiden der französischen Fahrer trübt die äusserst positive Bilanz. Immerhin konnte Christophe Riblon auf der Alpe d'Huez aber die wichtigste Etappe gewinnen. Zudem hätte es schon für zusätzliche Spannung gesorgt, wenn Froome das «Maillot jaune» nochmal hätte abgeben müssen. Insgesamt dürfen sich die Organisatoren aber über eine sehr gut gelungene Tour de France 2013 freuen.