Sepp Kuss ist ein harter Hund. Der US-Amerikaner hat heuer schon den Giro d’Italia und die Tour de France in den Beinen. Die beiden Grand Tours brachte er nicht einfach so hinter sich, sondern belegte die Gesamtränge 14 und 12. Starke Platzierungen, wenn man bedenkt, dass Kuss weder in Italien noch Frankreich auf eigene Rechnung gefahren ist.
Am Giro verhalf er Primoz Roglic zum Gesamtsieg, an der Tour führte er Jonas Vingegaard zum zweiten Triumph. Der 29-jährige Kuss, der mit der ehemaligen spanischen Radsportlerin Noemi Ferré in Andorra lebt, ist in den Bergen oft der letzte Helfer seiner Team-Captains. Daher auch das gute Abschneiden im Gesamtklassement.
An vielen Gesamtsiegen beteiligt
Der einstige Mountainbiker fährt seit 2018 für die Jumbo-Visma-Equipe. Auch als Roglic die Vuelta zwischen 2019 und 2021 dreimal in Serie gewann, spielte Kuss eine zentrale Rolle. In den Bergen gibt es kaum ein zuverlässigeres Zugpferd als den Mann aus Colorado. In jedem anderen Team wäre Kuss aufgrund seiner Qualitäten wohl unbestrittener Leader.
Bei Jumbo waren die Rollen angesichts der beiden Top-Fahrer Roglic und Vingegaard immer klar verteilt – bis zur diesjährigen Vuelta. Zwar hatte Roglic vor dem Start der Spanien-Rundfahrt gesagt, man wolle als Team gewinnen und es spiele keine Rolle, ob «ich das bin oder Jonas oder vielleicht auch Sepp».
Kuss zuerst gejagt und dann beschützt
Ob Jumbo wirklich von Beginn weg auf eine Dreierspitze mit Kuss setzte, etwa nach dem Motto «der stärkste soll gewinnen» ist fraglich. Vielmehr sorgte die niederländische Equipe mit ihrer Strategie teilweise für Verwirrung und auch für Unverständnis bei Radsport-Experten und Fans.
Wie am Angliru, als sich Kuss auf den letzten Kilometern plötzlich gegen die Attacken seiner Teamkollegen verteidigen musste. Am Tag später war es dann Vingegaard, der dem Amerikaner als Helfer mustergültig zur Seite stand. Keine Spur von allfälligen Machtspielchen, sondern vielmehr ein Nichtangriffspakt.
Wie auch immer der Plan von Jumbo-Visma vor drei Wochen gelautet hat: Im Peloton gibt es wohl kein Fahrer, der Kuss den Vuelta-Sieg und damit den mit Abstand grössten Erfolg seiner Karriere nicht gönnt. Zumindest für einmal gehört dem Edelhelfer die Hauptrolle.