Je nachdem sind 2 Minuten eine ganze Welt. Das musste im Vorjahr auch Primoz Roglic einsehen. Der designierte slowenische Sieger der Tour de France verlor beim Bergzeitfahren der 20. Etappe 1:56 Minuten auf seinen Landsmann Tadej Pogacar – und damit auch bei letzter Gelegenheit das «Maillot jaune».
Pogacar hingegen stellte noch 2 Tage vor seinem 21. Geburtstag die Weichen für eine neue Ära. Als erster Fahrer überhaupt fuhr er mit dem gelben und dem gepunkteten Bergtrikot sowie als bester Nachwuchsfahrer auf den Champs-Élysées ein.
Anderer Weg, gleiches Ziel
Keine 10 Monate später steht wieder Pogacar an der Spitze aller 3 Klassemente. Ein anderer Weg führte zum selben Ziel. Der Allrounder vom UAE Team Emirates verzichtete auf dramatische Aufholjagden und erstickte jegliche Spannung im Keim. So durfte sich der Slowene auf der 108. Ausgabe der «Grande Boucle» bereits auf der 8. Etappe das Gelbe Trikot überstülpen lassen. Er gab es fortan auch nicht mehr her.
«Seit ich in die Tour gestartet bin, ist es ein Spiel für mich. Ich geniesse es, zu spielen», strahlte Pogacar nach den beiden Pyrenäen-Etappen. Seine erdrückende Überlegenheit in den Schlussabschnitten der beiden schweren Bergankünfte hatte beängstigende Züge.
Der Youngster kontrollierte den jungen Dänen Jonas Vingegaard und den formstarken Ecuadorianer Richard Carapaz, Dritter der Gesamtwertung, nach Belieben und mit einer Ausstrahlung, die ihresgleichen sucht. Ehe seine Verfolger überhaupt ausholen konnten, setzte Pogacar die Attacken einfach selbst.
Sie nennen in «Pogacarmstrong»
Doch bei allem Strahlen – solche extraordinären Leistungen werfen im Sport und gerade bei den Rad-Profis auch immer Fragen auf. Die Doping-Frage ärgerte den sonst so gelassen wirkenden Youngster schon nach der 10. Etappe. «Ich bin alleine am Ruhetag 3 Mal getestet worden. Was soll ich noch tun, um meine Unschuld zu beweisen?», reagierte er unwirsch.
Nach den Kletterleistungen in den Alpen hatten ihn einige Kritiker als «Pogacarmstrong» bezeichnet. Oder wahlweise «Pogastrong» wie Dopinganalytiker Antoine Vayer. Dass Pogacar sich weigerte, seine Leistungsdaten zu publizieren, machte die Zweifel nicht eben kleiner. Er führte für sein Schweigen taktische Gründe ins Feld.
Delikate Personalien im Team
Die Zweifel sind hausgemacht. Sein Umfeld im UAE-Team ist teils mit Personen besetzt, die nicht den besten Ruf geniessen. So wurde unter anderem Pogacars Sportdirektor und Landsmann Andrej Hauptman 2000 wegen verdächtiger Blutwerte von der Tour ausgeschlossen. Team-Manager Mauro Gianetti ist ebenfalls alles andere als ein unbeschriebenes Blatt.
Am Sonntag jedenfalls waren diese Sorgen weit weg. «Pogi», wie ihn seine Fans nennen, durfte gemeinsam mit seinen Teamkollegen auf der wohlverdienten «Tour d'Honneur» in Paris einfahren. Der zweite Schritt für eine neue Ära ist getan. Und vielleicht entschliesst sich der Triumphator nach der Tour, die Wattzahlen doch offenzulegen. Es würde seinen Kritikern – zumindest vorerst – den Wind aus den Segeln nehmen.