An die letzte Schwimm-WM, die im 2024 schon Anfang Februar in Doha stattfand, hat Michelle Heimberg keine angenehmen Erinnerungen. Ein missglückter dritter Sprung in der Qualifikation liess sie im Klassement weit abrutschen und kostete im Bruchteil einer Sekunde das Ticket für die zweite Olympia-Teilnahme nach der Corona-Edition 2021 in Tokio.
Um die immense Enttäuschung zu verdauen, meldete sich die Wasserspringerin ein halbes Jahr vom Wettkampfsport ab, sah in dieser Zeit nicht einmal ein Hallenbad von innen. Sie spricht von einem schwierigen Prozess, der ihr mental einiges abverlangte. Mut war gefragt, denn es liess sich nicht abschätzen, ob sie weiterhin auf die Unterstützung ihres Umfelds zählen konnte.
Ich habe die Gewissheit, dass es sich gelohnt hat, auf mein Gefühl zu hören.
Rückblickend wertet sie die Auszeit als Chance. «Ich darf stolz auf mich sein, wie ich das gemeistert habe. In dieser Phase konnte ich viel über mich lernen. Den Sport sehe ich inzwischen mit anderen Augen, entsprechend stecke ich jetzt in meiner Karriere 2.0. Ich habe die Gewissheit, dass es sich gelohnt hat, auf mein Gefühl zu hören», resümiert die 25-Jährige.
Wie Velofahren: Man verlernt's nicht
Die Aargauerin wachte am Tag nach ihrer Zäsur also auf – und hatte plötzlich kein Training und keine Tagesstruktur mehr. Ein sechsmonatiges Praktikum gab der Studentin in Kommunikationswissenschaften und Medienforschung Halt. Zudem schätzte sie die zusätzliche Zeit mit Familie und Freunden oder konnte spontane Essenseinladungen annehmen.
Ein Rücktritt vom Spitzensport stand nie zur Diskussion. «Denn ich habe schnell gespürt, dass das Feuer noch lodert. Also liess ich das Ganze auf mich zukommen und gab mir die Zeit, die ich brauchte.»
Heimberg kehrte schliesslich mit einem Paukenschlag zurück: Nachdem sie Ende September wieder das Training aufgenommen und in eine umfangreiche Aufbauphase investiert hatte, resultierte beim Comeback ein persönlicher Punkterekord. Die technischen Fähigkeiten waren rasch wieder ausgereift. Denn Wasserspringen sei durchaus wie Velofahren: «Man verlernt's nicht. Die Sprünge kamen schnell zurück. Es ging primär um die Feinheiten wie Absprung und Eintauchphase.»
Es geht darum, den «Flow zu spüren»
Nun steht die nächste WM an. Heimberg ist am Montagabend nach Singapur abgehoben. Der Kopf ist aus einem zweiten Grund frei: Erst kürzlich schloss die Zeitsoldatin (mit 50-Prozent-Anstellung bei der Armee) ihr Bachelorstudium ab. Die Europameisterin (jüngst Gold in Antalya vom 3-m-Brett) nimmt einen Sieg aus einer letzten Standortbestimmung in Bozen mit ins Asien-Abenteuer. «Ich konnte dort nochmals gute Erfahrungen sammeln und bin verletzungsfrei durch die finale Vorbereitung gekommen. Das Gefühl stimmt.»
Ein Rangziel gibt sie keines aus. Lieber sagt sie, auch vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen, vor ihren Einsätzen vom 1-m-Brett (Samstag) und dann der olympischen Disziplin 3-m (1. August): «Ich will meine Freude und Lockerheit nach Singapur mitnehmen, den Flow spüren und den Wettkampf auch geniessen. Dann schauen wir, was am Tag X möglich ist.»
Immer mit schwingt der Anspruch nach der Perfektion. Das ist Heimbergs Antriebsfeder, dann auch auf dem erhofften Weg an die Olympischen Spiele 2028 nach Los Angeles.