Es war zum Verzweifeln. Vor dem Bergfest auf dem Weissenstein gab es diverse Abmeldungen in letzter Minute. Das bedeutete für Guido Thürig, den Technischen Leiter der Nordwestschweizer Schwinger und in dieser Funktion Chef der Einteilung auf dem Weissenstein, dass er diverse Male die Paarungen für den ersten Gang neu zusammenstellen musste. Keine leichte und erst recht keine dankbare Aufgabe.
Vor dem Wettkampf auf dem Brünig war es ähnlich, und auch bei anderen Festen der jüngeren Vergangenheit zeigte sich ein vergleichbares Muster. Jede einzelne Abmeldung war nachvollziehbar, aber in der Summe scheint sich ein Trend zu zeigen: In einem Eidgenössischen Jahr lieber nichts riskieren.
Das grösstmögliche Schaufenster
Ein gutes Resultat beim Eidgenössischen ist wichtig. Sportlich sowieso, aber immer mehr auch denjenigen gegenüber, die einen unterstützen. Viele Schwinger profitieren durch den einen oder anderen Sponsoringvertrag vom Boom, der seit einiger Zeit in ihrer Sportart anhält.
Dabei geht es zwar in den meisten Fällen nicht um grosse Beträge, aber auch kleinere Formen der Unterstützung können einen gewissen Druck erzeugen. Schliesslich möchte man sich als Sportler der Unterstützung würdig erweisen, möchte sich dankbar zeigen. Und das geht nie besser, als mit einem guten Abschneiden am Eidgenössischen. Deshalb: Lieber nichts riskieren, erst recht nicht kurz vor dem grossen Wettkampf, der nur alle drei Jahre stattfindet.
Es ist nur eine Theorie, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass noch vor zehn Jahren mit einer leichten Blessur, einer nicht gänzlich auskurierten Verletzung eher zum Wettkampf angetreten worden wäre, als dies heute der Fall ist. Abgesehen von moralischen Verpflichtungen gegenüber Sponsoren und Ausrüstern, kennen sich die Schwinger selber gut genug, um zu wissen, dass Warnsignale des Körpers ausgeblendet werden, sobald man sich im Wettkampfmodus befindet.
Wenn diese Sportler im Sägemehl stehen, bremst sie nichts mehr. Da renken sie sich einen Finger aus, renken ihn wieder ein und schwingen weiter. Man reisst sich ein Kreuzband, macht eine Viertelstunde Pause und beendet dann noch den Wettkampf. Alles schon mehrfach passiert. Insofern ist es auch eine Form von Selbstschutz, gar nicht erst zum Wettkampf anzutreten, wenn man nicht richtig fit ist. Lieber nichts Unnötiges riskieren.
Dosieren, dafür länger schwingen
Schwingerkarrieren dauern heute im Schnitt länger als vor zwei, drei Jahrzehnten. Zwar gab es früher schon Athleten, die 20 Jahre lang bei den Aktiven mitkämpften. Aber es waren einzelne. Heute sind von den offiziell 51 aktiven Eidgenössischen Kranzschwingern nicht weniger als 26 über 30 Jahre alt. Zehn sogar über 35. Wer in einer so belastenden Sportart so lange dabeibleiben will, der muss auf seinen Körper achten. Es kann viel Sinn machen, ein Fest auszulassen und dafür am Ende der Karriere ein Jahr zu gewinnen.
Es kann sehr hilfreich sein, mit Hilfe von einem oder zwei Sponsoren das Arbeitspensum um ein paar Prozente zu reduzieren. Dann hat die Erholung ein bisschen mehr Platz, was wiederum der Gesundheit zuträglich ist. So führen der Gedanke an die Gesundheit und der potentielle indirekte Druck von Sponsoren zum Gleichen: Lieber nicht zu viel riskieren.
Die Tendenz von mehr Abmeldungen, die ich wahrzunehmen glaube, ist verständlich und vermutlich auch richtig. Wenn auch für das Publikum bisweilen enttäuschend und für die Einteilung nicht angenehm, besonders dann, wenn es sich um kurzfristige Absagen handelt. Wobei die Kurzfristigkeit, abgesehen von einzelnen organisatorischen Pannen, dafür spricht, dass die Schwinger ja eigentlich unbedingt zum Wettkampf antreten wollen.
Und dass die Vernunft jeweils eine Weile braucht, um sich durchzusetzen, auf dem Weg zum Eidgenössischen, auf den der länger gewordene Schatten dieses riesigen und so wichtigen sportlichen Ereignisses fällt. Und bei dem die Schwinger dann bereit sein werden, alles zu riskieren.