Vor zwei Jahren beim Kilchberger Schwinget gab es drei Sieger. Das hatte es zuvor in der fast 100-jährigen Geschichte dieses Festes noch nie gegeben. Auch nicht beim mit Kilchberg alternierend stattfindenden Unspunnen-Schwinget. Bei dessen Austragung 1895 wurden zwar auch drei Sieger ausgerufen, allerdings hat man damals zwei Wettkämpfe abgehalten, beim ersten gabs zwei Gewinner, beim zweiten einen. Die drei Sieger von 2021 in Kilchberg sind also an einem Fest von dieser Bedeutung einmalig. Und dennoch kein Zufall.
Im letzten grossen Schlussgang, jenem beim Eidgenössischen in Pratteln, fehlten nur wenige Minuten, und der Kampf zwischen Joel Wicki und Matthias Aeschbacher wäre gestellt ausgegangen. Dann hätte es drei Festsieger gegeben. Auch das wäre ein erstmaliges Ereignis gewesen, denn mehr als zwei Sieger hat es auch bei einem Eidgenössischen nie gegeben. In Pratteln kam es anders, Wicki krönte sich zum grossartigen König, und doch war schon allein die nicht mehr ferne Möglichkeit von drei Siegern ein weiterer Hinweis darauf, wie schwierig es selbst für die Besten geworden ist, sich von der Konkurrenz abzusetzen.
Am Sonntag werden in Interlaken weniger als ein Drittel der Anzahl Teilnehmer im Vergleich zum Eidgenössischen letztes Jahr ins Stadion einmarschieren. Nur die Besten und die Zweitbesten schaffen es ins Unspunnen-Aufgebot ihrer Teilverbände. Das führt zu einer Verdichtung an der Spitze, zu hoher durchschnittlicher Qualität der Wettkämpfer, zu einem pickelharten Programm für jeden. So lassen selbst potentielle Dominatoren mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann den einen oder anderen Punkt liegen.
1968 zwei Unspunnen-Sieger
Diese Grundvoraussetzung für einen ausgeglichenen Verlauf an der Ranglistenspitze bei Festen wie dem Unspunnen-Schwinget war immer schon da. 1968 lagen nach fünf Gängen drei Schwinger punktgleich an der Spitze, ein weiterer nur einen Viertelpunkt dahinter. Die Einteilung beschloss kurzerhand, zwei Schlussgänge durchzuführen. Die beiden Gewinner der Schlussgänge, Peter Gasser und Ruedi Hunsperger, gingen als Unspunnen-Sieger in die Geschichte ein. Zwei Schlussgänge wird es am Sonntag nicht geben. Aber eine ähnliche Ausgangslage nach dem fünften Gang vielleicht schon. Es wäre alles andere als überraschend.
Daran ist Jörg Abderhalden nicht ganz unschuldig. Er ging einst voran und holte sich einen Fachmann von ausserhalb des Schwingsports an seine Seite. Nicht für das Training im Schwingkeller, da gibt es keinen besseren möglichen Weg, als dass die Schwinger ihr Wissen an die nächsten Generationen weitergeben. Aber im Bereich der Athletik konnte sich Abderhalden mit neuen, individualisierten Impulsen einen Vorsprung verschaffen.
Zusammen mit seiner überragenden technischen Vielseitigkeit liess ihn das zum Dominator werden, wie es nicht oft einen gegeben hat. Mittlerweile gehen alle ambitionierten Schwinger Abderhaldens Weg. Sein langjähriger Konditionstrainer betreut heute eine ganze Gruppe, mit zum Beispiel Werner Schlegel, Damian Ott und Armon Orlik.
Grosse Ausgeglichenheit bei den Besten
Es liesse sich eine lange Liste von Athleten, Trainingsgruppen und Athletikprofis erstellen, welche eine breite Professionalisierung im Konditionstraining der Schwinger dokumentiert. Sie zeigt, dass man sich kaum mehr einen Vorteil in diesem Bereich verschaffen kann. Höchstens einen Nachteil, wenn man nicht mitzieht. All die physisch bestvorbereiteten Athleten zeigen dann auch noch den Ehrgeiz, um im Sägemehltraining den harten Weg zu gehen und technisch ähnlich vielseitig zu werden wie einst Abderhalden.
Das führt zu einer hohen Qualität in den Klub- und Verbandstrainings, letztlich zu mehr Schwingern, die gegen die Besten bestehen können. Und weil mittlerweile alle Teilverbände an den Schwingfesten eingespielte Betreuerteams im Einsatz haben, lässt sich auch im Bereich der Wettkampfbetreuung höchstens noch eine marginale Differenz schaffen.
Wie also soll sich einer der Besten von den anderen Besten absetzen können? Schwierig. Tagesform, Glück, Wille, es gibt Faktoren, die das immer noch möglich machen. Aber ein in letzter Zeit realistischer gewordenes Szenario ist die grosse Ausgeglichenheit an der Spitze. Und damit die maximale Spannung.