Den Riesenslalom? Mit 1,36 Sekunden Vorsprung gewonnen. Im Slalom? Die zweitplatzierte Petra Vlhova trotz deren Topleistung um 0,61 Sekunden distanziert. Das Ski-Wochenende in Lienz, es stand wie so viele andere im Zeichen der Mikaela Shiffrin. Weitere Zahlen untermauern die totale Dominanz der US-Amerikanerin:
- Die 24-Jährige feierte in Tirol ihre Weltcup-Siege Nummer 63 und 64.
- In 18 der letzten 20 Slaloms blieb sie ungeschlagen (dazu ein 2. Platz neben einem Ausfall).
- Mit dem 43. Disziplinensieg schloss Shiffrin zu Rekordfrau Lindsey Vonn (43 Abfahrtssiege) auf.
Zudem war es die perfekte Replik auf einen der seltenen Rückschläge Shiffrins. In Courchevel belegte sie im Riesenslalom den – für sie miserablen – 17. Rang.
«Ich verlor mein ganzes Selbstvertrauen, konnte 3 Tage nicht mehr schlafen», verriet die 5-fache Weltmeisterin. Es sei «extrem schmerzhaft» gewesen, emotional und mental. Shiffrins Reaktion: Verzicht auf die (letztlich abgesagten) Rennen in Val d'Isère, stattdessen Training.
Ich dachte, andere Leute zu enttäuschen, wenn ich nicht mit über 2 Sekunden Vorsprung gewinne.
Nicht zum ersten Mal hört man von der Frau, die sich im Stangenwald sicher wie ein Schnellzug auf Schienen bewegt, von schweren Selbstzweifeln. Die Nervosität brachte Shiffrin lange Zeit regelmässig dazu, sich vor den Rennen übergeben zu müssen.
«Ich dachte, andere Leute zu enttäuschen, wenn ich nicht mit über 2 Sekunden Vorsprung gewinne», liess sie in einem Anfang Monat geführten NZZ -Interview tief blicken. Auch nach 3 Triumphen im Gesamtweltcup fürchte sie sich davor, plötzlich keine Rennen mehr gewinnen zu können.
Von Druck und Spass geformt
Der Druck – er ist der grösste Konkurrent Shiffrins. So nennt sie als Schlüsselerlebnis den überraschenden Super-G-Sieg in Lake Louise Ende 2018. Hinterher habe sie gedacht: «Wow, ich hatte einfach Spass, keinen Druck. Diese Mentalität konnte ich für den Rest des Winters bewahren.»
Der Spass als zentrales Puzzleteil für die Perfektionistin. Die, vom Team abgeschirmt und unter den stets wachsamen Augen der omnipräsenten Mutter Eileen, über sich selbst sagt: «Ich bin ein ruhiger Mensch, der gerne daheim ist, nicht ständig auf Partys will. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Opfer bringe.»
Freundinnen im Skizirkus? Ein schwieriges Thema. Lindsey Vonn bezeichnete ihre Landsfrau als unnahbar, Sofia Goggia und andere teilen diese Meinung. Für Shiffrin kein Problem, sie zählt Kristallkugeln, nicht Freundschaften.
Zweifelnde Siegerin
Nils Schumann, 2000 Olympiasieger über 800 m, prägte während seiner Karriere den Sinnspruch «Sieger zweifeln nie, Zweifler siegen nie.» Bei Shiffrin liegt der Fall etwas komplizierter. Die vielleicht talentierteste Fahrerin der Weltcup-Geschichte wird nicht zuletzt von ihren Zweifeln angetrieben.
Auf 3 schlaflose Nächte folgen 2 Triumphe. Wenn dann noch Spass dazukommt, dürfte neben der Konkurrenz auch Rekordsieger Ingemar Stenmark (86 Siege) zittern.
Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 29.12.19, 13:00 Uhr