Hier der 4. Triumph im Gesamtweltcup, da die komplett verpatzten Olympischen Spiele: Mikaela Shiffrin hat eine zwiespältige Saison hinter sich. Aktuell bereitet sich die US-Amerikanerin auf den Gletschern in Saas-Fee auf das kommende Ski-Jahr vor. Eine Vorbereitung, die nach den Hitzewellen in diesem Sommer nicht ganz ohne Tücken auskommt. «Es ist ziemlich schmutzig auf dem Gletscher, es hat nicht viel Schnee», schildert Shiffrin die Bedingungen. Zu sehen, dass der Gletscher langsam verschwinde, stimme sie traurig.
Wenige Tage zuvor hatte die Ausnahmekönnerin gegenüber dem Walliser Boten gar gemeint: «Vielleicht dauert es gar nicht mehr lange, bis wir Skifahren überhaupt nicht mehr als praktikablen Sport anschauen können.» Doch freilich, die Sorgen des Menschen Mikaela Shiffrin sind für die Rennfahrerin in diesem Stadium der Vorbereitung eher Störgeräusche.
Jedes Jahr habe ich bei der Rückkehr auf die Skipiste zunächst das Gefühl, dass ich in jeder Kurve stürze.
Vielmehr liegt der Fokus nun darauf, sich ein gutes Fahrgefühl für bevorstehende Aufgaben abzuholen. Auch für eine Vollblut-Athletin wie Shiffrin nach abertausenden Stunden auf dem Schnee ist das keine Selbstverständlichkeit, wie sie gegenüber SRF verriet: «Jedes Jahr habe ich bei der Rückkehr auf die Skipiste zunächst das Gefühl, dass ich in jeder Kurve stürze.» Doch zugleich sei es auch die Zeit des Jahres, in der die Vorfreude steige, die alle schweisstreibenden Stunden im Fitnessraum wettmache.
Auf den Gletschern im Wallis soll die Basis für neuerliche Weltcup-Siege und am Ende vielleicht die 5. grosse Kristallkugel gelegt werden. Ebenjene Trophäe tröstete Shiffrin in der Vorsaison darüber hinweg, dass sie an Olympia in Peking ohne Medaille geblieben war. Weiss die 27-Jährige mittlerweile, woran sie, die in wirklich allen Disziplinen zu den (Mit-)Favoritinnen auf Edelmetall galt, scheiterte? «Die kurze Antwort lautet: Nein.»
In Peking zu bleiben, hat mich fast zum Ausflippen gebracht.
Letztendlich sei es wohl die Summe vieler kleiner Probleme gewesen, so Shiffrin. Ein zu ambitioniertes Rennprogramm an den Winterspielen. Die ganze durch Corona hervorgerufene Störkulisse, vor allem aber auch die Bedingungen in Yanqing mit viel Wind und ausschliesslich Kunstschnee.
Einfacher machte es dann auch nicht die Tatsache, dass der Team-Event wetterbedingt nach hinten verschoben werden musste. Während Petra Vlhova, Shiffrins Hauptkonkurrentin um den Gesamtweltcup, längst zurück nach Europa geflogen war, hatte die Amerikanerin entschieden, ihr Team im Nationenduell zu unterstützen. «Zu bleiben, hat mich zwar fast zum Ausflippen gebracht.»
Es gibt in meinem Kopf immer diesen kleinen Teil, der mir am Start sagt: ‹Vermassle es nicht!› Das bringe ich nicht mehr weg.
Im Skisport werden Entscheidungen normalerweise auf individueller Ebene getroffen. Doch sie, die in Sotschi und Pyeongchang triumphierte, habe unbedingt ihrem Team helfen wollen, ebenfalls eine Olympiamedaille zu gewinnen. Das klappte mit Rang 4 zwar dramatisch nicht, die Dynamik im Team habe sich aber dennoch grundlegend positiv verändert.
Im Februar 2023 steht mit der WM in Courchevel und Méribel der nächste Grossanlass an. Fürchtet die 6-fache Weltmeisterin nun nach dem Olympia-Debakel auch in Frankreichs Alpen ins Grübeln zu kommen? «Ja und nein», meint Shiffrin vielsagend und erläutert: «Es gibt in meinem Kopf immer diesen kleinen Teil, der mir am Start sagt: ‹Vermassle es nicht!› Das bringe ich nicht mehr weg.»
Jedoch fürchte sie sich im Hinblick auf die WM nicht: Einerseits seien Ausfälle bei ihr ja rar, andererseits: «Ort, Zeit und Situation sind anders als in Peking. Ich könnte also das Resultat, logischerweise aber nicht die Situation wiederholen. Das gibt mir etwas Komfort. Ich habe nicht wirklich Angst davor.»