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Coronavirus Long Covid: Es gibt Hoffnung auf Heilung

Bei Versuchen mit einem noch nicht zugelassenen Herzmedikament konnten erstmals Long-Covid-Betroffene geheilt werden.

Am Universitätsklinikum Erlangen in Deutschland arbeitet die Augenärztin und Molekularmedizinerin Bettina Hohberger daran, das Mysterium Long Covid zu entschlüsseln. Seit letztem Jahr verfolgt sie mit ihrem Team die Hypothese, dass das Virus die Durchblutung nachhaltig stört und auch die innerste Schicht der feinsten Blutgefässe betreffen kann.

In Erlangen wird Long-Covid-Betroffenen dafür tief in die Augen geschaut. Eine spezielle Kamera fotografiert die Durchblutung der feinsten Blutgefässe – der sogenannten Kapillaren: «Augengefässe sind gleich aufgebaut wie die anderen Gefässe im Körper», erklärt Bettina Hohberger. «Veränderungen, die wir im Auge erkennen, sollten als Beispiel für den gesamten Körper dienen können.»

So hat sich gezeigt, dass bei vielen Corona-Patienten die Durchblutung der feinsten Blutgefässe gestört ist. Und man hat auch einen Verdacht, woran das liegt: an Blutzellen, die ihre Flexibilität verloren haben.

«Blutzellen müssen sich verformen können, um durch die kleinsten Kapillaren hindurchzupassen», erklärt Biologe Martin Kräter vom Max-Planck-Institut Erlangen. «Sind sie dazu nicht mehr in der Lage, könnte das ein Anzeichen für eine Erkrankung sein – und möglicherweise die Erklärung für die Durchblutungsstörungen.»

Wie kommt es zu diesem Effekt? Im Blut von Long-Covid-Patienten haben die Forschenden spezifische Autoantikörper gefunden. Diese Moleküle des Immunsystems können die Funktionen von Köperzellen beeinträchtigen, unter anderem auch von Blutzellen.

«Da diese Antikörper im gesamten Organismus überall im Blut schwimmen, lässt sich eine Vielzahl von Long-Covid-Symptomen damit erklären», ist Molekularmedizinerin Bettina Hohberger überzeugt. Von Konzentrationsschwächen über Müdigkeit bis hin zu muskulärer Schwäche.

Das Diagnoseverfahren benötigt vor dem breiten Einsatz noch weitere Studiendaten. Die Erlanger Forschenden sind trotzdem schon einen Schritt weiter: In einem Versuch wurde einigen Long-Covid-Patienten das noch nicht zugelassene Medikament «BC 007» gegeben, das dereinst die Durchblutung bei Herzproblemen verbessern soll.

«BC 007 ist ein kleines DNA-Bruchstück, das diese Antikörper neutralisieren kann und dem Körper hilft, sie wieder auszuscheiden», erklärt Bettina Hohberger den Anlass für diese Versuche.

Die erzielten Erfolge sind spektakulär: Bei einem Patienten, der zunehmend unter Gleichgewichtsstörungen,  Ausfällen des Geschmackssinns, lähmender Müdigkeit und Konzentrationsschwächen litt, zeigten sich schnell deutliche Verbesserungen. «Innerhalb einer Woche waren die Aussetzer weg und die Müdigkeit liess nach», berichtet Patient Axel Nagat. «Und nach drei Wochen fehlte mir nichts mehr – ich war wieder topfit!»

Die Erholung zeigt sich auch in den Messungen der Erlanger Forschenden. Die Durchblutung im Auge hat sich deutlich verbessert, und es können auch keine Autoantikörper mehr im Blut nachgewiesen werden. Auch die Blutzellen kehren zur Normalität zurück. Biologe Martin Kräter bestätigt: «Bei den vier Patienten, die wir im Rahmen dieser Behandlungsversuche begleitet haben, bewegt sich die Verformbarkeit der Zellen langsam wieder in die richtige Richtung.»

In Erlangen startet jetzt eine klinische Studie, um die Wirkung von BC 007 genauer zu untersuchen. Denn noch ist nicht klar, ob das Medikament, das bei den Versuchspersonen derart wirksam war, auch allen anderen Long-Covid-Patienten helfen kann.

«Wir hatten schon Kontakt mit den Herstellern von BC 007»

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Gregory Fretz im Puls-Studio
Legende: srf

Long-Covid-Spezialist Gregory Fretz vom Kantonsspital Graubünden ordnet die neue Entwicklung ein.

SRF: Gregory Fretz, die Forschenden in Deutschland sind nach den Versuchen mit BC 007 schon fast euphorisch. Sie auch?

Gregory Fetz: Ja, ich glaube, die Ergebnisse sind wirklich vielversprechend. Wir haben schon länger die Hypothese, dass ein Teil von Long Covid durch eine Autoimmunkrankheit bedingt sein könnte. Der Körper bildet also Abwehrkörper gegen sich selber. Jetzt hat man ein Medikament gefunden, das eigentlich für Herzpatienten entwickelt wurde und sieht, dass es die Antikörper nachhaltig aus dem Blut rausbringt. Ausserdem weiss man auch, dass es ein sicheres Medikament ist, denn man hat dazu schon Phase-zwei-Studien gemacht. Wenn alles ideal läuft, könnte man nun relativ schnell den nächsten Schritt machen und klinische Untersuche starten.

Die Hoffnung liegt in Deutschland. Was meinen Sie dazu als Schweizer Arzt?

Es ist teilweise schon frustrierend. Denn das sind Tests, die zwar im Moment noch keine Bedeutung für die Therapie haben. Aber es würde uns natürlich auch in der klinischen Erfahrung interessieren, ob da verschiedene Gruppen von Patientinnen und Patienten gebildet werden können. Solche, die zum Beispiel auf dieses Medikament ansprechen und andere, die vielleicht eine andere Therapie brauchen. Wir wären schon auch sehr interessiert daran, die Diagnostik machen zu können.

Gibt es denn Hinweise, dass Sie oder eine andere Schweizer Klinik an dieser Studie teilnehmen können?

Ja. Wir hatten auch schon Kontakt mit dem Hersteller von BC 007. Die Firma prüft derzeit, ob die Studie nur in Deutschland oder auch in anderen Ländern gemacht werden soll – zum Beispiel in der Schweiz. Das hoffen wir natürlich sehr.

Es gibt noch eine weitere Hoffnung: Mit Apharese, einer Art Blutwäsche, soll man die Autoantikörper auch loswerden können. Was haltet Sie davon?

Auch das ist ein Ansatz, der es verdient, vertieft angeschaut zu werden. Es geht im Prinzip ums gleiche: Man filtert die Antikörper heraus. Das ist eine invasivere Behandlung, und es braucht relativ viele Zyklen. Die Leute müssen zehn, fünfzehn Mal eine solche Behandlung über sich ergehen lassen. Das Medikament ist da sicher eleganter, aber es lohnt sich sicher, auch diesen Ansatz weiterzuverfolgen.

Das Gespräch führte Daniela Lager

Videogalerie

Puls, 01.11.2021, 21:05 Uhr

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