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Aus Tschernobyl bis ins All Wie ein Pilz die Raumfahrt verändern könnte

Für Menschen im All ist radioaktive Strahlung eine grosse Gefahr. Könnte ein Pilz Abhilfe schaffen? Vielleicht.

Die Internationale Raumstation (ISS) feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Eine der grössten Herausforderungen der Raumfahrt ist nach wie vor die kosmische Strahlung. Jenseits des schützenden Erdmagnetfelds und der Atmosphäre sind Raumfahrende einer starken, radioaktiven Strahlung ausgesetzt.

Auf der ISS zwischen 50- und 200-mal höher als auf der Erde. Besonders auf Langzeitmissionen ist das ein grosses Gesundheitsrisiko für die Besatzung. Eine Lösung könnte ein schwarzer Schimmelpilz liefern. Aber was macht diesen Pilz so speziell? Und wie wurde man auf ihn aufmerksam?

Unerwartete Entdeckung in Tschernobyl

Dafür müssen wir zurück ins Jahr 1986, zur verheerenden Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Die Folgen sind für die umliegende Bevölkerung und Natur noch immer weitreichend.

Forschende waren überrascht, als sie sich Anfang der 90er Jahre in dieses verstrahlte Gebiet wagten: Direkt an den Wänden des zerstörten Reaktors und auch in umliegenden Gebieten wuchsen schwarze Pilze. Der am weitesten verbreitete heisst Cladosporium sphaerospermum.

Ein Pilz in einer durchsichtigen Petrischale.
Legende: Cladosporium sphaerospermum – so sieht der Pilz in einer Petrischale aus. STAT/Jenna Schoenefeld

Normalerweise ist radioaktive Strahlung für Lebewesen ab einer gewissen Dosis tödlich. Die Strahlung zerstört Zellmoleküle, schädigt die DNA und kann so Krebs auslösen. Auch der Pilz besitzt Erbgut in Form von DNA. Wie also kann er bei dieser hohen Strahlung überleben und gedeihen?

Melanin: Schutzschild und Motor

Der Schlüssel liegt im Melanin. Dieses Pigment schützt die menschliche Haut vor der UV-Strahlung der Sonne. Doch nicht jede Form von Melanin ist gleich aufgebaut. Das Melanin des Pilzes funktioniert anders. Es schützt den Pilz vor radioaktiver Strahlung. Und ermöglicht es zudem, die Strahlung als Energiequelle zu nutzen.

Forschende haben das Melanin des Pilzes genauer untersucht. Sie haben festgestellt, dass das Melanin unter radioaktiver Strahlung vierfach aktiver ist. Das treibt den Stoffwechsel des Pilzes an – er wächst schneller. Das Phänomen der Energiegewinnung aus radioaktiver Strahlung nennt man «Radiosynthese» – der genaue Mechanismus ist jedoch nach wie vor ein Rätsel.

Der Pilz im All

Wegen seiner erstaunlichen Fähigkeiten wurde auch die Raumfahrt auf den Pilz aufmerksam. Kann er vielleicht kosmische Strahlung abschirmen? Um diese Frage als auch seine All-Tauglichkeit zu erforschen, schickte man ihn 2019 zur ISS. In einer Petrischale liess man ihn auf einer Hälfte wachsen, während die andere leer blieb. Hinter beiden Hälften wurde kontinuierlich die kosmische Strahlung gemessen. Die Ergebnisse sind vielversprechend:

Hinter dem Pilz wurde signifikant weniger Strahlung registriert – je dicker die Pilzschicht, desto stärker die Abschirmung. Zudem wuchs er auf der ISS 21 Prozent schneller als auf der Erde. Dies deutet darauf hin, dass er auch kosmische Strahlung als Energiequelle nutzen kann.

Ein lebender, sich selbst regenerierender Strahlenschutz für Raumschiffe oder Mars-Kolonien? Vielleicht. Es braucht weitere Studien, um zukünftige Anwendungen dieses Pilzes zu ergründen. Und um dem genauen Mechanismus der Radiosynthese auf die Schliche zu kommen. Doch vor allem zeigt uns dieser Cladosporium sphaerospermum eines: Das Leben ist unglaublich anpassungsfähig. Es findet Wege zu gedeihen, selbst unter extremen Bedingungen.

100 Sekunden Wissen, 13.11.2025, 06:54 Uhr

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