Am Cern bei Genf wird mit dem grössten Teilchenbeschleuniger der Welt geforscht, um die Grundbausteine unseres Universums zu verstehen. Diese Woche hat ein internationales Forschungsteam eine Studie im Fachmagazin «Nature» veröffentlicht, die sich einer zentralen Frage widmet: Warum hat sich unser Universum in seiner Frühzeit nicht selbst ausgelöscht?
Antimaterie: Das Spiegelbild der Materie
Der Schlüssel zu dieser Frage liegt in der Antimaterie – dem Gegenstück zur Materie. Sie ist zum Beispiel genau umgekehrt geladen als normale Materie. So sind Atomkerne der Antimaterie negativ statt positiv geladen, Atomhüllen positiv statt negativ geladen.
Nach aktuellem Wissen existierte kurz nach dem Urknall nahezu gleich viel Antimaterie wie Materie. Treffen beide aufeinander, vernichten sie sich gegenseitig.
Wäre das Verhältnis exakt ausgeglichen gewesen, gäbe es heute nichts: keine Sterne, keine Planeten, keine Menschen. Doch offensichtlich blieb ein winziger Überschuss an Materie bestehen.
Unser Universum entstand aus einem einzigen «Reiskorn»
Wie knapp es im frühen Universum war, lässt sich mit einer Waage mit zwei Schalen verbildlichen. Stellt man sich Materie und Antimaterie als Reiskörner vor, lagen auf der einen Waagschale eine Milliarde Reiskörner Antimaterie, auf der Seite mit Materie eine Milliarde und ein Reiskorn.
In der ersten Sekunde nach dem Urknall vernichteten sich Materie und Antimaterie gegenseitig. Es blieb nur dieses eine überzählige Reiskorn Materie übrig. Aus diesem winzigen Rest Materie besteht heute praktisch unser gesamtes Universum. Die Waagschale mit Antimaterie ist heute so gut wie leer. Doch warum dieser kleine Überschuss Materie vorhanden war, ist bis heute ein Rätsel.
Cern liefert erstmals experimentelle Hinweise
Die Forschung am Cern hat nun einen entscheidenden Schritt gemacht. Zum ersten Mal konnte experimentell gezeigt werden, dass sich gewöhnliche Materie – sogenannte baryonische Materie – nicht exakt gleich verhält wie ihre Antimaterie-Gegenstücke.
Die Forscherinnen und Forscher haben das erwartet, konnten das aber bislang nicht beweisen. Der Aufwand war enorm: Im Large Hadron Collider (LHC), dem leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt, werden winzige Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen. Dabei entstehen sowohl Materie- als auch Antimaterieteilchen.
Aus einer gigantischen Datenmenge filterten Hunderte von Forschenden zehntausende relevante Kollisionen heraus, um den minimalen, aber entscheidenden Unterschied sichtbar zu machen.
Erfolg für das Cern
Dieser Befund zeigt: Gewöhnliche Materie und Antimaterie spielen nicht exakt nach denselben physikalischen Regeln. Damit wissen Physikerinnen und Physiker, dass sie auf der richtigen Spur sind, wenn es darum geht, zu erklären, warum sich Materie und Antimaterie nicht exakt die Waage hielten. Es ist auch eine Erfolgsgeschichte für das Cern.
Allerdings: Eine abschliessende Antwort liefert der Befund noch nicht. Es werden weitere Experimente nötig sein, um die Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie zu ergründen.