Die folgende Geschichte klingt fast zu gut, um wahr zu sein: Die Olympia-Ruderin Frédérique Rol litt jahrelang an Rückenschmerzen. Keine Seltenheit in ihrem Sport, bei dem massive Kräfte auf die Wirbelsäule wirken. Diagnose Bandscheiben-Schaden, Behandlung mit Kortison im Jahr 2017. Doch der Schmerz blieb, ging nie vollständig weg.
Olympia-Ruderin mit Erfolgsgeschichte
Die junge Westschweizerin versuchte es mit Physiotherapie, Osteopathie, Akupunktur, sie besuchte sogar einen Heiler. Nichts brachte überzeugenden Erfolg. «Durch einen Ruder-Kollegen hörte ich von einer Klinik in Deutschland, die ihm geholfen hatte», erzählt die 28-Jährige. Auch andere Teammitglieder gingen dorthin.
Sie war skeptisch, dazu kam die laufende Olympia-Qualifikation für Tokio 2020. «Da will man keine Experimente wagen.» Doch die Corona-Pandemie brachte die Verschiebung der Olympischen Spiele auf 2021 – und Frédérique Rol die Zeit, ihre Rückenschmerzen anzupacken.
Ohne grosse Hoffnung reiste sie nach Süddeutschland in eine Privat-Klinik, benannt nach deren Gründer Walter Packi. Und tatsächlich: «Ich konnte sehr schnell Veränderungen sehen. Und als ich nach drei Tagen wieder heimgefahren bin, wusste ich schon, es hat viel gebracht», erinnert sich die Sportlerin heute.
Kann so etwas wirklich sein?
Diese Geschichte sei kein Einzelfall, heisst es in der Klinik. «Es gibt nicht wenige Patientinnen und Patienten mit Rückenweh, die hier sogar in einem bewegungsunfähigen Zustand ankommen und nach einer Woche Behandlung quietschfidel nach Hause fahren – mit der Bahn, hunderte Kilometer weit», behauptet Claus Becker, Arzt der Packi Klinik.
Nicht allen dieser Patienten sei es so ergangen, aber sehr vielen. Beckers Erfolgsrezept: Er behandelt die Schmerzbetroffenen mit seinen Händen, ertastet Funktionsstörungen in den Muskeln und stellt darauf basierend das Behandlungsprogramm auf.
Wie funktioniert die Therapie?
Ein Augenschein vor Ort zeigt: Das scheinbare Wundermittel sind simple, aber extreme Übungen. Ausgerichtet auf maximale Rückwärtsbeugung des Oberkörpers. Bei ihrem Anblick zuckt jeder Rückenschmerzpatient zusammen. Nur schon die Vorstellung, den Rücken so zu beugen, kostet Überwindung.
Doch dann geht es ans Trainieren. Rückwärts über Baumstämme geneigt und Rückwärtsbeugen im Stehen – mindestens 45 Grad weit üben die Betroffenen, ihren Oberkörper nach hinten zu beugen. Je nach Einzelfall kommen auch andere Übungen zur Mobilisierung der Wirbelsäule dazu.
Verkürzung vorn schädigt Bandscheibe hinten
«Durch das viele Sitzen ist die Muskelkette des Vorderkörpers oft verkürzt. Diese vordere Verkürzung führt im Rücken zu einer erhöhten Belastung der Wirbelsäule», erklärt Wolfgang Packi, heute Geschäftsführer der Klinik. Wird der Vorderkörper gestreckt und aktiviert, entlaste dies die Wirbelsäule und damit die Bandscheibe.
Wolfgang Packi ist in diese Biokinematik genannte Heilmethode quasi hineingewachsen. Er hat die Klinik von seinem Vater übernommen, dem Begründer der Biokinematik. Die in den 1980er-Jahren entwickelte Methode sei aber mehr als nur Rückenschmerz-Therapie, erklärt Wolfgang Packi. Sie sei ein umfassender, alternativer Ansatz zur chronischen Schmerztherapie. Auch bei anderen Indikationen als Rückenbeschwerden.
Muskeln als Schmerzquelle
Heute beruht die Biokinematik darauf, dass die Funktionsstörungen der Muskulatur, der wahre Schmerz-Auslöser sei, nicht Gelenke oder Nerven. Im Falle von Rückenschmerzen sei nicht die Bandscheibe die Ursache. «Daher nützt es auch nichts, die Bandscheibe wegzuschneiden, um schmerzfrei zu werden», so die Erklärung von Packi.
Tatsächlich weisen viele Studien darauf hin, dass Rücken-Operationen speziell in den ersten sechs Wochen bei Bandscheiben-Vorfällen wenig bringen und sich eine Vorwölbung oft von selbst zurückbildet. Selbst bei Spinalstenose, einer Verengung des Wirbelkanals, infolgedessen Nerven eingeklemmt werden können, hat eine Cochrane-Studie keine eindeutige Aussage machen können, dass eine Operation der konservativen Behandlung überlegen sei, speziell angesichts von Nebenwirkungen in zehn bis 24 Prozent der Operations-Fälle.
Die Schulmedizin geht aber davon aus, dass bei Bandscheiben-Schäden auch die Nerven Schmerzen verursachen können. Oft bewirken zu schwache oder überanstrengte Muskeln Rückenschmerzen, aber nicht immer.
Bandscheiben-Operationen oft unnötig
Generell hat sich auch in der Schulmedizin unterdessen die Meinung durchgesetzt, dass konservative Therapie, meist Physiotherapie, längerfristig oft gleich viel Erfolg bringt wie eine Operation (Studien Spine und Clark ). Allerdings wird diese Erkenntnis längst nicht von allen Ärztinnen und Ärzten beachtet. Bei Bandscheiben-Operationen wird meistens die ausgetretene weiche Gallertmasse der Bandscheibe weggeschnitten, mit dem Ziel, Nerven und Strukturen zu entlasten und Schmerzen zu beseitigen.
Kritik: Zu vereinfachend
Dass es jedoch immer die Muskeln sind, welche die Schmerzen verursachen, und dass eine bestimmte Art von Übung immer Abhilfe bringe, sei zu simpel und entspreche nicht der Schulmedizin, sagt Hannu Luomajoki. Er ist Professor für muskuloskelettale Physiotherapie an der Fachhochschule ZHAW in Winterthur: «Aber ich kann mir vorstellen, dass ein nicht so zimperliches Üben bei Rückenschmerzen den Betroffenen Mut und Zuversicht gibt. Denn bei Rückenschmerzen ist man oft zu vorsichtig.»
Und noch einen zweiten psychologisch vorteilhaften Effekt macht er aus: «Wenn ich mich aktiv für eine Therapie entscheide und dafür auch viel Geld ausgebe, beeinflusst dies meine Erwartungshaltung. Dieser Erwartungseffekt kann eine wichtige Placebo-Wirkung auslösen.» Sprich: Wer glaubt, dass es hilft, dem hilft es eher.
Keine unabhängigen Studien
Bei der Biokinematik finden sich tatsächlich keine unabhängigen Untersuchungen, welche die Theorie und die Behandlung untersucht hätten. Erfolgsmeldungen beruhen auf Patienten-Geschichten und auf der eigenen Statistik der Klinik.
Entsprechend übernimmt keine Krankenkasse die Kosten – die Betroffenen müssen selbst entscheiden, ob sie die 3300 Euro (rund 3380 Schweizer Franken) in eine einwöchige stationäre Behandlung investieren wollen. Solange keine unabhängigen Studien vorliegen, wird sich das auch nicht ändern.