Es ist kurz nach neun Uhr, als Ida K. – die auch Ruth S. oder Gaby Z. heissen könnte – ihre Wanderschuhe bindet. Die 74-Jährige geht fast jeden Tag denselben Weg: einmal rund um den Rotsee, knapp 6000 Schritte. «Das tut mir gut, und mein Kopf wird frei», sagt sie. Was sie wahrscheinlich nicht weiss: Diese Routine könnte ihr Gehirn vor Alzheimer schützen.
Eine neue Langzeitstudie aus den USA zeigt nämlich: Schon moderate Bewegung kann den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung verlangsamen – selbst in einer sehr frühen Phase, wenn Betroffene noch keine Symptome zeigen.
Bewegung bringt das Gehirn in Schwung
Das Team um Studienleiter Jasmeer Chhatwaal analysierte Daten von 294 Erwachsenen zwischen 50 und 90 Jahren aus der Harvard Aging Brain Study. 88 von ihnen waren zwar geistig gesund, zeigten in den Hirnscans aber bereits Beta-Amyloid-Ablagerungen – ein Frühzeichen der Krankheit.
Um zu untersuchen, welchen Einfluss Bewegung auf die Ablagerungen hat, erfassten die Forschenden zu Beginn der Studie eine Woche lang mit Schrittzählern, wie aktiv die Teilnehmenden waren. Danach begleiteten sie sie bis zu 14 Jahre mit Gedächtnistests und PET-Hirnscans, um zu sehen, wie sich Beta-Amyloid und das Tau-Protein veränderten.
Dabei zeigte sich: Menschen, die zu Beginn täglich 3000 bis 5000 Schritte gingen, hatten einen langsameren geistigen Abbau als die mit weniger Bewegung. Bei 5000 bis 7500 Schritten täglich war der Effekt am stärksten – vor allem, weil sich die Ansammlung von Tau-Fibrillen im Gehirn deutlich verlangsamte.
Diese Studie zeigt erstmals Effekte bei Menschen mit bereits Alzheimer-typischen Veränderungen im Gehirn
Besonders bemerkenswert: Auch bei Personen mit frühen Beta-Amyloid-Veränderungen zeigte Bewegung denselben Effekt. Kurz gesagt: Wer sich regelmässig bewegte, blieb länger geistig fit.
Mental fit dank Bewegung
«Diese Studie zeigt erstmals Effekte bei Menschen mit bereits Alzheimer-typischen Veränderungen im Gehirn», so Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Körperliche Aktivität könne die Ausbreitung dieser Veränderungen bremsen und die geistige Leistungsfähigkeit erhalten.
Warum Bewegung wirkt, ist noch nicht klar. Sie verbessert wohl die Durchblutung, senkt Entzündungen und aktiviert Schutzstoffe, die Nervenzellen stärken. «Ausserdem braucht Spazierengehen Planung, Orientierung, Aufmerksamkeit – auch der Kopf wird gebraucht», so Düzel.
Ursache bleibt offen
Aber: Die Studie zeigt nur Zusammenhänge, keine Beweise. Unklar bleibt, ob Bewegung tatsächlich die Ursache für den langsameren geistigen Abbau ist – oder ob Betroffene mit beginnender Alzheimer-Erkrankung schlicht weniger aktiv sind.
Kritik gibts auch an der Datenerhebung: Die Schrittzahl wurde nur einmal, zu Beginn, über eine Woche gemessen. Wie sich das Bewegungsverhalten später veränderte, bleibt offen. Andere Aktivitäten wie Radfahren wurden nicht berücksichtigt. Zudem war die Gruppe klein und überdurchschnittlich gebildet.
Die WHO empfiehlt Erwachsenen 150 Minuten moderate Bewegung pro Woche, etwa 7000 Schritte pro Tag. Fast die Hälfte der Bevölkerung erreicht diesen Wert nicht.
Trotz Kritik: Das Ergebnis passt zu dem, was viele frühere Untersuchungen zeigen: Moderate Bewegung gehört zu den wirksamsten Schutzfaktoren fürs Gehirn. Schon ein Spaziergang um den Rotsee kann ein Stück geistige Zukunft unterstützen.