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Gesunde Alternativen für stark verarbeitete Lebensmittel
Aus Kultur Webvideos vom 08.01.2021.
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Convenience-Food Wie Fertiggerichte unserem Körper schaden

Viele wollen möglichst gesund essen – dennoch sind 80 Prozent unserer eingekauften Nahrungsmittel verarbeitet. Vor allem ultraverarbeitete Lebensmittel können unserem Körper schaden. Doch Convenience-Food ist längst auch Teil unserer Esskultur.

«Häsch dini Ovo hüt scho gha?» ist für viele nicht nur Werbespruch, sondern hinterlässt eine wohlig-warme Erinnerung an die Kindheit. Wie der Spritzer Maggi in der faden Suppe oder die Packung Stocki im Vorratsschrank. Fertigprodukte Swiss Made – klare Sache.

Was vielen Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht so klar ist: Fast 80 Prozent ihrer Lebensmitteleinkäufe stammen aus der Industrie und sind mehr oder weniger stark verarbeitet. Dazu zählen Teigwaren ebenso wie ultraverarbeitete Produkte wie beispielsweise Mikrowellengerichte. «Vorgefertigte Produkte», sagt die Ernährungsexpertin Christine Brombach, «sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.» Ist das schlimm?

Vier Stufen – unverarbeitete bis ultraverarbeitete Lebensmittel

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Lebensmittel werden verarbeitet, damit sie länger haltbar sind. Das macht sie fürs weitere Zubereiten «convenient», also bequem. Je stärker verarbeitet sie aber sind, desto weiter weg sind sie vom Naturprodukt. Sie enthalten häufig Geschmacksverstärker, Salz, Öl oder Zucker.

Bei einer sehr starken Verarbeitung von Produkten gehen für den Körper wertvolle Stoffe verloren wie Vitamine, Mineralien oder Fasern. Die vier Stufen der Verarbeitung, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen reichen von un- bis ultraverarbeitet:

  1. natürliche oder frische Lebensmittel (z.B. rohes Gemüse)
  2. verarbeitete Küchenzutaten (z.B. Speiseöl, Butter oder Salz)
  3. verarbeitete Lebensmittel (z.B. Käse, Brot, Konserven)
  4. ultraverarbeitete Lebensmittel (z.B. Mikrowellengerichte, Pulver zum Anrühren wie Kartoffelstock oder Ovo, Süssgetränke)

Corona als Convenience-Booster

Im vergangenen Jahr haben zwar viele Menschen das Kochen und Backen wiederentdeckt, aber Corona war auch ein Convenience-Booster: Blickt man auf die Zahlen der Schweizer Marktprognose, war 2020 das Jahr der schnellen Speisen. So lag der Jahresumsatz pro Kopf bei über 136 Franken allein für Fertiggerichte und Suppen. Ein deutlicher Anstieg – davor blieb der Umsatz über acht Jahre relativ stabil.

Verzehrfertig in vier Minuten

Den grossen Boom an Convenience-Food erlebte die Schweiz in den 1960er- und 1970er-Jahren. Als die Erwerbsquote der Frau in der Schweiz sprunghaft anstieg, musste das Zmittag schnell gehen. Auch die Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen wurde wichtiger.

Durchschnittlich 38 Minuten dauert es heute, bis das Essen fertig zubereitet auf dem Tisch steht. Weil ein Teil der Arbeit bereits in der Fabrik passiert, verkürzt sich die Zeit am Herd. Kartoffelstock aus der Tüte ist so schon in vier Minuten fertig – ein Tempo, das beim Selbermachen vielleicht gerade fürs Rüsten der rohen Kartoffeln reicht.

eine Frau greift beim Einkaufen ins Kühlregal
Legende: Ein Griff in das Kühlregal erspart viele weitere Griffe in der Küche. Getty Images / guido koppes

Ultraverarbeitet – ultradick?

Was nach Glück für Köchinnen und Köche klingt, tönt bei Ernährungsmediziner David Fäh gefährlich: «Es gibt einen Zusammenhang zwischen ultraverarbeiteten Lebensmitteln und Adipositas.»

Sind es also nicht allein Fett und Zucker, die dick machen, sondern die vielen Schritte in der Fabrik? Darauf deuten zumindest neuere Studien hin.

David Fäh berichtet von einem Experiment aus den USA, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen: Nachdem die Teilnehmenden sich zwei Wochen nur von Fertigprodukten ernährt hatten, nahmen sie im Schnitt ein Kilogramm zu. Die andere Gruppe, die nur frische und kaum verarbeitete Lebensmittel konsumierte, nahm durchschnittlich ein Kilogramm ab.

ein Mann isst Fertigsaucen aus einem Plastikgeschirr
Legende: Ein Fertiggericht aus der Mikrowelle ist zwar im Nu zubereitet, wurde aber zuvor stark verarbeitet. Getty Images / Rob Melnychuk

Die 20 Probanden waren leicht übergewichtig und bekamen zwei Wochen lang Lebensmittel mit dem gleichen Nährwert zu essen – also die gleiche Menge an Kalorien, Zucker, Kohlenhydraten, Fett und Nahrungsfasern. Nur im Grad der Verarbeitung unterschieden sich die Mahlzeiten.

Immer wieder hungrig

Der Grund für die Gewichtszunahme bei den Probanden: Die Lebensmittelfabriken erledigen nicht nur einen Teil der Arbeit in der Küche, sondern auch für den Körper. Ultraverarbeitete Lebensmittel sind sozusagen vorverdaut.

«Man kann es schneller essen und muss nicht viel kauen», sagt Experte Fäh. Wer nur noch schluckt, gibt dem Magen weniger zu tun. Ein Körper, der weniger verdaut, verbraucht weniger Kalorien. Und wenn das Sättigungsgefühl fehlt, verlangt der Körper nach mehr Essen.

Eine Hand wählt aus vielen Käse-und Spinatküchlein aus
Legende: Vorverdaute Speisen: Beim Käsküechli-Snack etwa verbrauchen wir nicht viele Kalorien, werden nicht gesättigt – und wollen daher mehr. KEYSTONE / MARTIN RUETSCHI

«Man isst auch mehr, wenn es stärker gesalzen ist», erklärt David Fäh. Im Falle von Fertigprodukten eine ungesunde Mischung, denn Geschmacksverstärker fördern den Konsum. «Darum führen die ultraverarbeiteten Lebensmittel zu einem Kalorienüberschuss.»

Für den Ernährungsmediziner und Dozenten an der Berner Fachhochschule das Hauptproblem von Convenience-Food. Zu viel davon schadet dem Stoffwechsel.

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Convenience-Food als Teil der Kultur

«Klar, man kann das alles allein auf Convenience-Produkte schieben», widerspricht Christine Brombach. «Das wäre aber eine kulturpessimistische Haltung.» Für die Dozentin an der ZHAW ist Convenience-Food Teil des Kulturwandels – und nicht per se schlecht.

Sie sagt: «Ich muss heute wissen, wie ich es kombiniere, was ich wo kaufe, wie ich die Nährstoffe hinten auf der Verpackung interpretiere.» Die Köche von heute leisten im Zweifel also nicht weniger als die Köchinnen von damals. Verändert sich einfach die Kunst des Kochens?

eine Frau kauft im Laden eine Tiefkühlpizza
Legende: Für Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage: Lange Zutatenlisten zeugen oft davon, dass ein Produkt wahrscheinlich stark verarbeitet ist. Getty Images / Jack Hollingsworth

Wandel der Kochkultur

Gerüsteter Salat aus der Plastiktüte mit fertig angerührter Salatsauce wäre noch für die Grosselterngeneration undenkbar gewesen, meint Brombach: «Aber heute lege ich gar keinen Wert mehr darauf, mich stundenlang in die Küche einzuschliessen und nur Essen aufzutragen.»

Kochen sei heute ein gemeinsames Erlebnis: «Die offene Wohnküche lädt geradezu ein, mit Freunden zusammen zu kochen», sagt die Ernährungswissenschaftlerin. «Man sucht eine andere Zubereitungsart.»

Bequem, besser, bio

Mittlerweile sind Convenience-Produkte auf dem Markt ein Milliardengeschäft und weit mehr als Kartoffelpulver oder Fertigsuppen. «Die Produkte verändern unseren Umgang mit Lebensmitteln. Und das meine ich werteneutral», sagt Brombach.

Frisches Fertigessen wie das von Betty Bossi kam in den 1980er-Jahren in die Läden. Heute kommt das Essen bis zur eigenen Haustür: als abgepackte Zutaten plus Rezept in der Kochbox oder als fertiges Menü im isolierten Rucksack des Velokuriers. «Wir bringen heute ohne Probleme Bio und Convenience zusammen», beschreibt Brombach den Kulturwandel. «Das war vor 30 Jahren etwas, was sich ausgeschlossen hätte.»

eine Theke mit veganen Fertigprodukten
Legende: Die Aufmachung täuscht: Vermeintlich gesunde vegane Snacks können ebenso stark verarbeitet sein. KEYSTONE / CHRISTIAN BEUTLER

Für Ernährungsmediziner David Fäh immer noch ein Spagat. Selbst beim Zmittag im angesagten Vegi-Restaurant fällt ihm sofort auf, wie viele stark verarbeitete Produkte angeboten werden.

Vegan heisst nicht wenig verarbeitet

«Dessen muss man sich bewusst sein», warnt er, «nur weil es bio, glutenfrei oder vegan ist, ist es nicht automatisch besser, was die Verarbeitung betrifft.» Für die Konsumentinnen und Konsumenten sei der Grad der Verarbeitung kaum zu erkennen.

Den Trend zu veganen Fertigprodukten sieht Fäh kritisch: «Aus ethisch-moralischen Gründen verstehe ich das ja, aber aus gesundheitlichen Gründen würde ich das nicht grundsätzlich empfehlen.» Gerade Fleischersatzprodukte seien ultraverarbeitet.

Erkennbar ist das an der Zutatenliste: «Wenn die mehr als fünf Zutaten enthält, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Produkt ultraverarbeitet ist.»

Welches Mittagessen ist gesund?

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Zwar lässt sich am fertigen Mittagessen schwer erkennen, wie stark es verarbeitet ist, ein paar Tipps hat Ernährungsmediziner David Fäh aber parat:

  • Im Laden: das Kleingedruckte lesen. Wenn das Produkt laut Ablaufdatum zwei Wochen hält, ist es eher ultraverarbeitet, als wenn es nur drei Tage haltbar ist.
  • Im Restaurant oder beim Take-Away: eine Küche wählen, die traditionell weniger verarbeitet ist. Japanisch (Sushi) oder Vietnamesisch (Pho Suppe) zum Beispiel.
  • Zuhause vorkochen: Grössere Portionen Couscous oder Teigwaren kochen und als Basis nutzen für kalte Salate, die man im Tupperware zur Arbeit mitnimmt.

Ganz sicher wissen, was im Essen drinsteckt, kann nur, wer es selbst zubereitet. «Mit frischen und qualitativ hohen Rohstoffen», sagt Fäh. Der Ernährungsmediziner probiert gerne neue Gerichte aus – mit selbst angebautem Gemüse aus seinem Schrebergarten in Basel.

Schweiz gut im europäischen Vergleich

In den Genuss eines eigenen Gemüsegartens kommen nur wenige Schweizerinnen und Schweizer. Die zunehmende Verstädterung entfremdet uns eher von der Natur. Der Blick auf Europa zeigt aber auch, dass die Schweizer Küche vergleichsweise gut wegkommt: Der Anteil ultraverarbeiteter Speisen wie Mikrowellengerichte oder auch Süssigkeiten liegt hierzulande bei 26 Prozent, in Deutschland oder Grossbritannien ist er fast doppelt so hoch.

Nur die Mittelmeerstaaten bevorzugen frischere Speisen. Fäh deutet das als Zeichen der Esskultur. Wo selbst zubereitetes Essen einen höheren Stellenwert hat, kommt weniger Essen aus der Fabrik auf den Tisch.

Wie viel Industrie wird in der Schweizer Esskultur der Zukunft stecken? «Das ist schwer abzuschätzen», meint Christine Brombach. Es werde sicher mehr Convenience-Produkte geben, aber die Ernährungswissenschaftlerin beobachtet auch Gegenbewegungen.

In den Sozialen Medien sei Kochen ein Hauptthema. Im Corona-Jahr 2020 war es hip, selber Sauerteigbrot zu backen oder das übriggebliebene Gemüse zu fermentieren.

Prognose: mit dem Paradox leben

Einen Selbermachen-Trend will sie aber nicht ausmachen: «Wir sind da ja nicht konsistent», sagt Brombach und spricht von «unterschiedlichen Welten», in denen wir uns bewegen: Morgens die Fertig-Müesli-Mischung, mittags schnell ein Sandwich auf die Hand, abends aber dann gemeinsam mit Freunden kochen.

eine Person schneidet Karotten in der Küche
Legende: Mit der Familie, mit Freunden und manchmal mit frischen Zutaten: Gemeinsam Kochen ist ein Teil unserer Esskultur. Photocase / doondevil

Wofür wir uns entscheiden, bestimmt die Zeit: Oft soll das Essen schnell gehen, es soll gesund sein und dabei noch schmecken. «Wir leben mit diesen Paradoxien», sagt Brombach. «Da wird es immer Phasen geben, wo man Kompromisse machen muss, wo Convenience-Produkte ihren Platz haben.»

Am Ende ist es wie so oft: Die Mischung machts. Und manchmal gibt es eben nichts Besseres als eine Tasse heisse Ovo – im besten Fall gibt es das nächste Mal selbstgemachtes Birchermüesli mit Apfelschnitz dazu.

Die Lebensmittel-Ampel Nutri-Score hilft

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Die Lebensmittel-Ampel Nutri-Score hilft
Legende: KEYSTONE / DPA / Christophe Gateau

Zutaten und Nährwerte auf den Verpackungen zu verstehen, ist oft schwierig. Deswegen empfiehlt Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach einen Blick auf den Nutri-Score mit der Farbskala grün bis rot.

Dieser Score ist heute auf einigen Produkten zu finden. «Das soll helfen, innerhalb einer Produktkategorie zu vergleichen, welche Pizza zum Beispiel die bessere, gesündere Wahl ist.»

Der Nutri-Score verrechnet das Verhältnis von ungünstigen Nährwertelementen (Energie, gesättigte Fettsäuren, Gesamtzucker, Natrium) zu günstigen Nährwertelementen (Früchte, Gemüse, Nüsse, Nahrungsfasern, Protein).

SRF 1, Einstein, 14.01.2020, 21:05 Uhr

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