Es ist laut und riecht überhaupt nicht gut am Zulauf der Kläranlage von Zürich-Werdhölzli. Hier kommt alles an, was eine moderne Zivilisation ausmacht, über 20.000 einzelne chemische Verbindungen, Abfall, Urin, Kot und Krankheitserreger aller Art – oder die Reste davon. Genau darauf haben es die Forschenden abgesehen.
«Wir würden uns wünschen, dass die Gesundheitsbehörden das Potenzial erkennen, sodass wir das System weiter entwickeln können und damit besser auf die nächste Pandemie vorbereitet sind», sagt Niko Beerenwinkel.
Mit Abwasser-Algorithmus gegen die Pandemie
Gemeinsam mit Umweltingenieur Christoph Ort und Umweltchemikerinnen entwickelt der Bioinformatiker einen Algorithmus, mit dem sich der Verlauf einer Pan- oder Epidemie innerhalb einer Bevölkerung exakt nachverfolgen lässt. Die entsprechenden Daten dafür liefert das wissenschaftlich bisher nur wenig beachtete Abwasser.
Denn Abwasser ist, medizinisch betrachtet, eine besonders ergiebige Informationsquelle – was die aktuelle COVID-19-Pandemie laut Christoph Ort eindrücklich beweist: «Corona hat der abwasserbasierten Epidemiologie weltweit einen Schub gegeben. Wir sind bereits daran, weitere Krankheitserreger zu analysieren. Zum Beispiel Grippeviren oder Norovirus oder RSV.»
Abwasser zeigt, welche Viren im Umlauf sind
Alle 5 Minuten pumpt eine automatische Anlage eine Probe von gut 50 Millilitern in einen Sammelbehälter. Sind 24 Stunden voll, füllt Klärwerkfachmann Rey Eyer etwa einen halben Liter dieses Tagesgemisches in eine Flasche und schickt sie zur Analyse an das Wasserforschungsinstitut EAWAG.
Forschungsarbeiten am Abwasser
Nach verschiedenen Reinigungs-Verfahren lässt sich das Abwasser schliesslich per PCR-Messung zunächst auf das mengenmässige Vorhandensein von Corona-Virenmaterial untersuchen. Und eine Sequenzierung zeigt an, welche Viren-Varianten sich im Abwasser befinden.
Die aus PCR-Messung und Sequenzierung gewonnenen Daten, fliessen dann in einen Algorithmus ein, der berechnet, wie sich die einzelnen Varianten im Lauf der Zeit und im Verhältnis zueinander entwickeln.
Das Monitoring soll ausgeweitet werden
Noch dauert es 2-3 Wochen, bis die Ergebnisse der Analysen zweifelsfrei vorliegen und online in sogenannten Dashboards veröffentlicht werden. Und: Noch sind mit nur 6 Kläranlagen gerade einmal 1 Million Schweizer und Schweizerinnen am Monitoring angeschlossen.
Doch Christoph Ort freut sich über positive Signale von Seiten Bund: «Momentan plant das Bundesamt für Gesundheit eine Ausweitung des Abwasser-Monitorings auf über 100 Kläranlagen, womit dann über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung abgedeckt wären.»
Dass ein noch weiter beschleunigtes, preiswertes Analyse-Verfahren für die Kontrolle kommender Pandemien von grösstem Vorteil wäre, davon ist auch Niko Beerenwinkel überzeugt, denn damit bekomme man schliesslich «ein unverfälschtes Bild über die Infektionslage, die (dann) eben nicht davon abhängt, ob Leute zum Testen gehen, ob Personen überhaupt Symptome haben.»
Wir würden uns wünschen, dass die Gesundheitsbehörden das Potenzial erkennen, sodass wir besser auf die nächste Pandemie vorbereitet sind.
Um ihre Ziele zu erreichen, arbeiten die Schweizer Forschenden in engem Austausch mit Kolleginnen weltweit, denn gerade Nationen mit weniger gut aufgebauten Testinfrastrukturen sollen möglichst bald schon von einem effektiv funktionierenden Abwasserscreening profitieren können. Das wäre ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die unkontrollierte Verbreitung von immer neuen Virusvarianten.