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«Der Hausarzt muss sich auch mal durchsetzen»

Chronische Leiden erfordern von Betroffenen ein hohes Mass an Eigenverantwortung. Aber auch die Ärzte können einiges zur besseren Therapietreue beitragen. Nachgefragt bei «Puls»-Hausarzt Dr. Thomas Kissling.

SRF: Wie ist es um die Therapietreue der Patienten in Ihrer Praxis bestellt? Halten sich die Leute mehrheitlich gut an Verschreibungen oder sind die Zuverlässigen die Ausnahme?

Dr. Thomas Kissling: Der Grossteil hält sich recht gut daran – da muss ich meinen Patienten wirklich ein Kränzlein winden. Aber je komplizierter ein Therapieplan ist, desto schwerer fällt einem das natürlich.

Wie merken Sie, dass sich jemand nicht an eine verordnete Therapie hält?

Da gibt es eigentlich zwei Indikatoren: Zum einen, wenn sich die erwartete Wirkung nicht einstellt. Zum anderen, wenn die Menge der bezogenen Medikamente nicht mit der Verschreibung übereinstimmt.

Was ist gemäss Ihrer Erfahrung diesbezüglich die grösste Herausforderung bei einem chronischen Leiden wie Diabetes oder Bluthochdruck?

Thomas Kissling

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Dr. Thomas Kissling ist seit 1988 mit eigener Praxis als Hausarzt tätig. Als «Puls»-Arzt gibt er konkrete Tipps und hilft den Zuschauern bei offenen Fragen. An der Universität Bern ist er Lehrbeauftrager für Hausarztmedizin.

Sicher die Anzahl verschriebener Medikamente. Müssen täglich mehrmals zehn oder mehr Tabletten eingenommen werden, ist das auf Dauer zermürbend. Müssen dann noch Mittel zu Unzeiten und ohne spürbaren Nutzen eingenommen werden, ist die Versuchung gross, sie wegzulassen.

Was empfehlen Sie Ihren Patienten, damit sie bei einer langwierigen oder sogar lebenslangen Therapie bei der Stange bleiben?

Dem Hausarzt Fragen stellen! Wer Zweck und Nutzen einer Therapie nicht einsieht, wird Mühe haben, dran zu bleiben. Und es kann auch durchaus sein, dass man im Laufe einer Therapie das eine oder andere Medikament absetzen kann. Aber das muss immer mit Blick auf die Gesamtsituation erfolgen. Deshalb: Bei Therapiemüdigkeit das Gespräch mit dem Hausarzt suchen.

Bei Leuten mit verschiedenen Leiden kommt eine stattliche Anzahl Pillen, Tabletten und Wässerchen zusammen, die zudem in unterschiedlicher Kombination mehrmals täglich einzunehmen sind. Überfordert man damit die Leute nicht heillos?

Das ist tatsächlich ein Problem. Da ist der Hausarzt gefordert, sich auch einmal gegen Spezialisten durchzusetzen, die naturgemäss nur ihre Richtlinien im Blick haben. Würde man aber stets sämtliche Richtlinien umsetzen, kommen schnell ein Dutzend oder mehr Präparate zusammen! Hier muss der Hausarzt mit Blick auf die Gesamtsituation abwägen, welcher Medikamentenmix am meisten Sinn macht

Manche Patienten setzen Medikamente eigenmächtig ab, weil sie das Gefühl haben, etwas stimme mit der Verschreibung nicht oder weil sie meinen, es gehe ihnen nun gut genug. Was bedeutet so etwas für den Erfolg einer Behandlung?

Alltagstipps

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  • Regelmässig einzunehmende Medikamente nicht wegräumen, sondern in Sichtweite aufbewahren.
  • Medikamente in den Tagesablauf integrieren. Abends einzunehmende Tabletten zum Beispiel zur Zahnbürste legen.
  • Wecker, Erinnerungs-Apps etc. eignen sich primär für Technikaffine.
  • Fragen Sie bei Ihren Hausarzt nach Hilfsangeboten – und nützen Sie sie!

Das hängt von den abgesetzten Medikamenten ab. Einige – wie etwa Insulin bei Diabetikern – sind lebenswichtig, bei anderen verzichtet man «nur» auf einen möglichen langfristigen Nutzen. Welcher Kategorie eine Arznei angehört, ist für den Patienten selber aber meist nicht klar ersichtlich. Der Hausarzt kann das besser beurteilen.

Und wie sieht es mit rezeptfrei erhältlichen Mitteln aus, die einem von Freunden und Bekannten als «super wirksam» und «ohne Nebenwirkungen» angepriesen werden: Soll man da jedes Mal erst beim Hausarzt nachfragen, ob sich das mit den verschriebenen Medikamenten verträgt, oder kann man auch einfach mal etwas ausprobieren?

Auch hier empfiehlt sich grundsätzlich die Rücksprache mit dem Hausarzt. Manchmal haben ganz banale, alltägliche Substanzen Nebenwirkungen, die für Laien überraschend sind. Ein klassisches Beispiel ist der Grapefruitsaft, der je nach Medikament dessen Wirkung schwächt oder verstärkt. Nein, «einfach mal ausprobieren» ist definitiv keine gute Idee.

Chronische Leiden erfordern von den Betroffenen ein hohes Mass an Eigenverantwortung. Wie viel Unterstützung kann man dabei vom Hausarzt erwarten?

Meine Haltung ist, dass die Verantwortung für die eigene Gesundheit grundsätzlich beim Patienten selber liegt. Aber er darf von mir als Hausarzt erwarten, dass ich ihm die dafür nötigen Informationen in verständlicher Form vermittle.

Geht es um Hilfestellungen für den Alltag, kann ich darauf achten, einen guten Medikamentenplan aufzustellen und geeignete Hilfsmittel empfehlen. Und bei Bedarf organisiere ich auch Alltagshilfe durch die Spitex. Was es an Unterstützung braucht, ist aber von Fall zu Fall verschieden.

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