Warum fangen wir uns jedes Jahr aufs Neue Erkältungsviren ein? Und welches Virus könnte die nächste Pandemie auslösen? Die Epidemiologin Emma Hodcroft will diese Fragen knacken. Wir haben die junge US-Amerikanerin am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut getroffen.
SRF Wissen: Jedes Jahr fangen wir uns irgendwelche Erkältungsviren ein. Der Körper bekämpft die Viren und sollte eigentlich für folgende Angriffe gewappnet sein. Warum klappt das nicht?
Emma Hodcroft: Genau das versuchen wir in unserer Forschung herauszufinden. Wenn unser Körper eine Erkältung durchmacht, lernt das Immunsystem, das entsprechende Virus abzuwehren. Das Gleiche gilt aber auch aus Sicht des Virus. Es versucht sich stetig weiterzuentwickeln, um sicherzugehen, dass es uns wieder anstecken kann.
Hat unser Immunsystem womöglich ein zu kurzes Gedächtnis?
Das wissen wir bisher nicht so genau. Liegt unsere erneute Anfälligkeit an der Vergesslichkeit unseres Immunsystems oder daran, dass Viren immer neue Wege finden unser Abwehrsystem auszutricksen.
Sie haben das Software-Programm «Nextstrain» entwickelt. Damit lässt sich nachvollziehen, wie sich ein Virus verändert und wo es zu Mutationen kommt. Wird es damit irgendwann möglich sein, vorauszusagen, ab wann ein Virus für uns Menschen gefährlich werden könnte?
Das ist die ‹Millionen-Dollar›-Frage. Können wir vorhersagen, welches Virus uns als nächstes Sorgen bereiten wird? In mancher Hinsicht haben wir sicher die Chance, das besser zu verstehen. Andererseits ist es enorm schwierig, irgendetwas im Leben präzise vorherzusagen.
Habe ich genügend Beweise? Ist das so verständlich? Ist das der aktuellste Stand der Wissenschaft? All diese Fragen musste ich sorgfältig berücksichtigen.
Letztlich ist vielleicht entscheidend, wer sich als Erster mit dem neuen Virus infiziert. Geht diese Person nach Hause und sieht zwei Wochen lang niemanden oder besucht sie eine Konferenz und trifft dort tausende Menschen? Das könnte den Unterschied ausmachen, ob eine neue Variante eine neue Pandemie auslöst oder nicht. Das ist sehr schwer zu modellieren.
Ein Ziel von «Nextstrain» ist es, wissenschaftlich fundiertes Wissen zugänglicher und transparenter zu machen. Das haben Sie auch als Person getan: Während der Corona-Pandemie waren sie eine der prominentesten Stimmen in der Wissenschaftskommunikation. Das hat sie ziemlich ins Rampenlicht gerückt. Wie war das damals?
Ich habe damals wie heute eine hohe Verantwortung gespürt. Für jeden Twitter-Thread habe ich mehrere Stunden, wenn nicht Tage recherchiert, damit ich genau die Message transportiere, die ich rüberbringen will. Habe ich genügend Beweise? Ist das so verständlich? Ist das der aktuellste Stand der Wissenschaft? All diese Fragen musste ich sorgfältig berücksichtigen.
Das Gespräch führten Stefan Zischler und Ingolf Baur.