Dezember 2024 im südindischen Bangalore, an einer internationalen Konferenz über Public Health: Die Ärztin Anupama Janardhana berichtet über eine Häufung von Fällen chronischer Nierenerkrankung im Bundesstaat Andra Pradesh, an der Ostküste Indiens.
Die Betroffenen seien allesamt junge Landarbeiter und Bauern, die unter klimatisch harschen Bedingungen das Land bestellten.
Diagnose kommt meistens zu spät
«Die Männer merken zunächst nicht, dass ihnen etwas Gravierendes fehlt, dass ihre Nieren versagen. Sie fühlen sich einfach schlapp, haben keinen Appetit, verlieren Gewicht.» Bis sie von einer Spezialistin wie Anupama Jardhana abgeklärt werden, ist die Erkrankung meistens schon weit fortgeschritten.
Dann hilft nur noch Dialyse – für die Bauern beginnt ein finanzieller Teufelskreis: «Da sind die Transportkosten, um zum Spital zu gelangen und wieder nach Hause. An den Dialyse-Tagen können sie zudem nicht arbeiten, verlieren einen Teil ihres Einkommens», erzählt Anupama Janardhana. Deshalb würden viele die Dialyse abbrechen. Und dann sterben.
7000 Kilometer vom Süden Indiens entfernt, in Zürich, befasst sich Valerie Luyckx mit dem rätselhaften Leiden der jungen Männer. Für die aus Südafrika stammende, international vernetzte Nierenspezialistin ist klar, was diese Epidemie anheizt: «Es ist definitiv eine tragische und sehr offensichtliche Folge des Klimawandels, vor allem in armen Gegenden, wo die Menschen keinen Zugang zu ausreichender Behandlung und Gesundheitsversorgung haben.»
Die Abwärtsspirale zum Nierenversagen
Die Männer schuften bei sengender Hitze, dabei schwitzen sie stark. «Sie machen keine Pausen, weil sie nach den Mengen bezahlt werden, die sie ernten, wie zum Beispiel die Zuckerrohrschneider in Nicaragua», erklärt Luyckx, «also trinken sie zu wenig.»
Das wiederum ist schädlich für die Nieren, denn die brauchen Flüssigkeit, um die Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen. Und: Viele dieser Arbeiter schlucken am Morgen Ibuprofen gegen die Muskelschmerzen. «Das aber schädigt die Nieren zusätzlich, vor allem, wenn jemand dehydriert ist.»
«Historische Resolution» der WHO
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat an ihrem General Assembly Ende Mai in einer Resolution beschlossen, das Problem anzugehen. Vor allem die Prävention soll gestärkt werden. Die grosse Herausforderung ist die Diagnose: «Um eine Nierenerkrankung zu diagnostizieren, braucht es einen Blut- und einen Urintest, doch diese Tests sind bei weitem nicht überall zugänglich», sagt Valerie Luyckx.
Mithilfe der WHO sollen in den ärmeren Ländern Strukturen für eine bessere Versorgung aufgebaut werden. Das Ziel sei, Risikopersonen zu erreichen und sie möglichst vor Ort zu testen. «So können sie behandelt werden, bevor sie in ein kritisches Stadium kommen, in dem sie Dialyse brauchen», so Valerie Luyckx. Das sei medizinisch nicht weiter schwierig: Man müsse nur die Risikofaktoren, also Blutdruck und Blutzucker kontrollieren und in den Griff bekommen. Dafür gebe es ausreichend Medikamente.
Am effektivsten wäre es indes, die Klimaerwärmung zu reduzieren und die sozialen Umstände der betroffenen Landarbeiter zu verbessern. Doch das liegt nicht in der Macht der Medizin.