Zum Inhalt springen

Header

Video
Heuschnupfen
Aus Puls vom 24.03.2014.
abspielen. Laufzeit 14 Minuten 44 Sekunden.
Inhalt

Allergien Heuschnupfen – Amoklauf des Immunsystems

In der Schweiz leidet jeder Fünfte an Heuschnupfen, und es werden immer mehr. Seit 100 Jahren wird zu Allergien geforscht – der grosse Durchbruch blieb jedoch bislang aus. Und so bleiben Entstehung und nachhaltige Behandlung des Heuschnupfens weiterhin weitgehend ein Rätsel.

Der Frühling erwacht, Zeit, wieder ausgiebig Sonne zu tanken. Allerdings sind die milderen Temperaturen nicht für alle Menschen ein Segen. Für Heuschnupfen-Allergiker hat der frühjährliche Pollenflug unliebsame Folgen: tränende, brennende Augen, Niesattacken, Juckreiz im Gaumen und, bei schwereren Symptomen, Atembeschwerden oder sogar Asthma.

«Mit 20 habe ich über die Wintermonate drei Jahre lang mit regelmässigen Spritzenkuren desensibilisiert, leider ohne Erfolg», erklärt der heute 43-jährige Urs Steiner, «mit sporadischem Einsatz von Antihistaminika komme ich heute aber über die Runden. Abends die Pollen aus den Haaren zu waschen, hilft mir fast am besten.» Die typischen Beschwerden bereiten ihm hauptsächlich die Pollen von Hasel, Erle und Esche. Er ist aber auch auf Kernobst und Nüsse allergisch. Gekocht verliert das Kernobst seine allergene Wirkung, bei den Nüssen hilft nur konsequenter Verzicht.

Audio
Tipps gegen Heuschnupfen
aus Ratgeber vom 07.03.2014. Bild: Colourbox
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 29 Sekunden.

Die Gene sind nur ein Puzzle-Teilchen

Warum manche Menschen ihr Leben lang unempfindlich gegen Allergene sind, während andere wiederum an Allergien leiden, ist bis heute nicht geklärt. Bekannt ist, dass genetische Faktoren bei der Entstehung von Allergien eine Rolle spielen. Leiden ein oder sogar beide Elternteile an Allergien, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind mindestens eine Allergie ausbilden wird, bei 30 bis 70 Prozent. «Auf viele Fragen hat man noch keine Antwort», sagt Georg Schäppi, Biologe und Geschäftsleiter des aha! Allergiezentrums Schweiz. «Es scheint, als ob der Körper von Allergikern verlernt hat, gewissen Stoffen gegenüber tolerant zu sein, und deshalb unnötig mit Abwehrmassnahmen reagiert.»

Unser westlicher Lebensstil scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Wir leben zu sauber, zu steril. Georg Schäppi plädiert denn auch für «mehr Dreck». Studien haben gezeigt, dass Bauernkinder weniger an Allergien leiden als ihre gleichaltrigen Kameraden aus der Stadt. «Was wir als Prävention heute auf jeden Fall empfehlen, ist Muttermilch während der ersten vier Monate und eine ausgewogene Ernährung bereits in der Schwangerschaft und im Kleinkindalter», sagt Georg Schäppi. «Wer keinen Bauernhof hat, prägt sein Immunsystem auch bei regelmässigen Aktivitäten in der freien Natur auf gute Art und Weise.»

Spray, Salben, Spritzen

Pollen sind der häufigste Allergieauslöser. Viele Menschen reagieren aber auch empfindlich auf Milbenkot und Schuppen und Speichel von Tieren. «Nicht die Katzenhaare machen den Allergikern Mühe», erklärt aha!-Geschäftsleiter Schäppi. «Beim Putzen verteilt die Katze Speichel auf ihr Fell, und das getrocknete Speichelpulver enthält die Allergene.»

Auch die Hausstaubmilbe macht vielen Allergikern zu schaffen. Sie ernährt sich von unseren Hautschuppen, die sie vor allem im Bett findet. Der Kot der Milben enthält allergieauslösende Bestandteile, die sich als Staub verteilen, eingeatmet werden und eine Allergie auslösen. «Wir Schweizer sind Weltmeister im Milbenzüchten. Wir haben perfekt isolierte Häuser und lüften die Zimmer zu selten», erklärt Georg Schäppi. «Decken, Kissen und Matratze müssten zum Trocknen regelmässig raus ins Freie.»

Egal, ob Pollen, Speichel oder Kot, es sind die gleichen Diagnosemethoden und Therapien, die angewendet werden. Bei leichten Symptomen können Antihistaminika als Augentropfen, Nasenspray, Salbe oder Tablette die Beschwerden lindern. – Sind die Symptome aber heftig und droht eine Ausbreitung auf die unteren Atemwege mit Gefahr eines Asthmas, kann eine Immuntherapie Sinn machen. In kleinsten Dosen wird der Körper mit der Spritzenkur während drei bis fünf Jahren an den allergieauslösenden Stoff gewöhnt. Die Erfolgschancen liegen bei rund 75 Prozent.

Urs Steiner haben die Spritzenkuren nicht geholfen. Auch Akupunktur und Homöopathie, auf die viele Betroffene mit Erfolg setzen, schlugen bei ihm nicht an. Er wird auch künftig, wann immer möglich, die Allergene meiden.

Betroffene fragen, Experten antworten

Das Beratungsteam von aha! Allergiezentrum Schweiz hat häufige Fragen von Pollen-Allergikern für «Puls» beantwortet:

Ich leide seit über zehn Jahren an einer Pollenallergie. Damals habe ich es mit Desensibilisierung versucht, was aber keine Besserung brachte. Ist die Therapie heute, also zehn Jahre später, besser geworden? Und soll ich es nochmals versuchen?

Die Allergie sowie das Ansprechen auf eine Desensibilisierung können sich über die Jahre individuell verändern. Es könnte also gut sein, dass die spezifische Immuntherapie diesmal eine Besserung der Beschwerden bringen kann. Nebst der Spritzentherapie ist auch eine Therapie mit Tabletten oder Tropfen verfügbar. Die Allergen-Extrakte wurden im letzten Jahrzehnt weiterentwickelt. Wir empfehlen Ihnen deshalb, eine mögliche erneute Desensibilisierung nochmals mit Ihrem behandelnden Arzt zu besprechen.

Mich plagen im Frühling leichte Heuschnupfensymptome. Eine Spritzenkur möchte ich nicht machen. Was würden Sie mir empfehlen?

Die Symptome können mit Hilfe von Antihistaminika in Form von Tabletten, Nasenspray oder Augentropfen behandelt werden. Um den Kontakt zu den Pollen reduzieren zu können kann es zusätzlich helfen, die Haare vor dem zu Bett gehen zu waschen, die Wäsche nicht draussen trocknen zu lassen und jeweils nur kurz stosszulüften oder Pollengitter an den Fenstern zu installieren. Wir empfehlen auch, draussen eine Sonnenbrille zu tragen und Indoor-Sport zu bevorzugen.

Bekämpfen Antihistaminika auch die Ursache des Heuschnupfens oder nur die Symptome?

Die medikamentöse Behandlung mit Antihistaminika hilft nur, die Symptome des Heuschnupfens zu bekämpfen. Die einzige ursächliche Behandlung ist die spezifische Immuntherapie in Form von Spritzen, Tabletten oder Tropfen.

Meine Kollegin hat mir von Antihistaminika abgeraten, da sie offenbar sehr müde machen. Stimmt das?

Antihistaminika können tatsächlich müde machen. Dies kann durchaus auch die Leistungs- oder Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen. Es gibt aber Medikamente der neueren Generation, die etwas weniger müde machen sollen. Wir empfehlen, in der Apotheke oder Ihren behandelnden Arzt nach möglichen Alternativen zu fragen.

Im Frühling habe ich Juckreiz in den Augen, Niesattacken und eine triefende Nase – vor allem in der Nähe von Haselsträuchern. Gerne würde ich zuerst komplementärmedizinische Behandlungsmethoden ausprobieren. Was können Sie empfehlen?

Es gibt gewisse Therapien aus der Komplementärmedizin wie etwa die Akupunktur, die zur Linderung von Symptomen unterstützend eingesetzt werden können. Lassen Sie sich zum Beispiel in der Apotheke beraten. Gesicherte wissenschaftliche Ergebnisse zur Ursachenbekämpfung liegen bis heute aber nur für die Desensibilisierung vor.

Häufig würden die komplementärmedizinischen Methoden als zusätzliche Möglichkeit in der Heuschnupfen-Behandlung unter den Tisch gekehrt, bedauert Komplementärmediziner Jürg Hess von Paramed. Diese setzen bei der Behandlung des Heuschnupfens nicht auf die Allergene, sondern vielmehr auf den Menschen als Ganzes. Jürg Hess ist zum Beispiel überzeugt, dass Allergiker Mühe haben, wenn ihre geordneten Strukturen durcheinander geraten. Heuschnupfen kann dann eine Reaktion darauf sein.

Video
Gründe für die Probleme der Allergieforschung
Aus Puls vom 21.03.2014.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 26 Sekunden.

Georg Schäppi, Biologe und Geschäftsleiter des aha! Allergiezentrums Schweiz, ist auch frustriert, dass die Allergieforschung nach hundert Jahren noch nicht weiter ist. Erklärungen dafür findet er aber schon.

Und gerade in Bezug auf die Hausstaubmilben, die uns das Leben in den eigenen vier Wänden schwer machen können, hat er den Weltmeistern in der Milben-Zucht – den Schweizern nämlich – einen guten Tipp.

Meistgelesene Artikel