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Interview zu «High-Protein» Proteine als Power-Food: Wie viel ist wirklich gesund?

Vom Joghurt, über Pulver bis zum Riegel – viele Produkte in Lebensmittelläden tragen das Label «High-Protein», weil der Proteinanteil mindestens zwanzig Prozent des gesamten Energiewerts des Nahrungsmittels ausmacht. Versprochen wird Fitness und Gesundheit für Alt und Jung, um beispielsweise mehr Muskeln aufzubauen. Der Chefarzt Philipp Schütz vom Kantonsspital Aarau spricht im Interview darüber, wer auf den Trend verzichten kann und ab wann es auch schaden kann.

Philipp Schütz

Chefarzt Kantonsspital Aarau

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Philipp Schütz ist Chefarzt am Kantonsspital Aarau und Präsident der Eidgenössischen Ernährungskommission.

SRF Wissen: Tun wir uns mit «High-Protein»-Produkten wirklich etwas Gutes – oder ist das nur ein cleverer Marketing-Trick?

Philipp Schütz: Der Körper braucht eine gewisse Menge an Eiweiss. Wenn diese über längere Zeit unterschritten wird – zum Beispiel durch eine falsche Ernährung, holt er sich das Eiweiss aus dem Speicher – und das ist vor allem die Muskulatur.

Für gesunde Erwachsene gilt: 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht und Tag reichen aus. Für ältere Menschen oder Schwangere darf es etwas mehr sein. Auch bei intensivem Sport kann eine höhere Dosis sinnvoll sein.

Wer tatsächlich mehr Proteine braucht

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Leistungs- und KraftsportlerInnen

  • Muskelaufbau & -reparatur: Intensive Belastung führt zu Mikroverletzungen in den Muskeln – Protein hilft bei der Regeneration.
  • Leistungsfähigkeit: Ein gut versorgter Muskelapparat verbessert Kraft, Ausdauer und Erholung.
  • Stoffwechsel: Proteine unterstützen auch hormonelle Prozesse und Enzymfunktionen.

Empfehlung: je nach Sportart 1.2–2.0 g Protein pro kg Körpergewicht täglich.

Schwangere

  • Wachstum des Babys: Proteine sind essenziell für die Entwicklung von Organen, Muskeln und Gewebe.
  • Plazenta & Gebärmutter: Auch diese wachsen und benötigen Baustoffe.
  • Blutvolumen: Im Verlauf der Schwangerschaft steigt es stark an – dafür braucht der Körper mehr Eiweiss.

Empfehlung: ca. 1.1 g Protein pro kg Körpergewicht täglich (besonders ab dem 2. Trimester).

Ältere Menschen

  • Muskelabbau: Mit zunehmendem Alter nimmt die Muskelmasse natürlicherweise ab (Sarkopenie). Protein hilft, dem entgegenzuwirken.
  • Immunsystem: Proteine sind wichtig für die Bildung von Antikörpern und Enzymen.
  • Wundheilung & Regeneration: Ältere Menschen brauchen oft länger zur Heilung – Protein unterstützt diesen Prozess.

Empfehlung: ca. 1.0–1.2 g Protein pro kg Körpergewicht täglich (mehr als die Standardempfehlung von 0.8 g/kg).

Der Hype um zusätzliche Proteine ist für die meisten gesunden Menschen also überflüssig?

Ja, genau. Wer wirklich viel Sport macht – fünf, sechs oder mehr Stunden pro Woche – kann von zusätzlichen Proteinen profitieren. Dann kann es sinnvoll sein, etwa ein Proteinpulver zu nutzen, um auf die nötige Menge zu kommen. Dies hilft zum Beispiel beim Aufbau und Regeneration der Muskeln.

Wie viele Eier müsste ein Kraftsportler theoretisch essen, um auf den zusätzlichen Eiweissbedarf für den Muskelaufbau zu kommen?

Das wären viele. So müsste beispielsweise ein 100 Kilogramm schwerer Bodybuilder, der knapp doppelt so viel Eiweiss wie die ansonsten empfohlene Dosis für gesunde Erwachsene zu sich nimmt, rund 20 Eier am Tag essen. Dies gilt aber nur, wenn Eier seine einzige Eiweissquelle wären. Natürlich empfehle ich das nicht. Denn eine ausgewogene Ernährung mit pflanzlichen und tierischen Eiweissen ist sehr wichtig. Aber das Beispiel zeigt die Grössenordnung.

Was kann noch in «High-Protein»-Produkten stecken?

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Frau in Sportkleidung hält Proteinriegel.
Legende: Getty Images / FluxFactory

Gemäss der Schweizer Nährwertdatenbank sind Quark, Fleisch oder Tofu schon immer «High-Protein»-Produkte gewesen. Derzeit im Trend liegende Protein-Chips, Protein-Glacé oder Protein-Riegel enthalten aber nicht nur das Extra an Eiweiss, sondern oft auch eine Reihe von Zusatzstoffen. Ein Blick auf die Zutatenliste lohnt sich:

  • Süssstoffe wie Sucralose oder Stevia ersetzen Zucker, können aber bei empfindlichen Personen Blähungen oder Durchfall verursachen.
  • Aromen und Farbstoffe sorgen für Geschmack und Optik, sind aber ernährungsphysiologisch meist überflüssig.
  • Verdickungsmittel wie Xanthan oder Carrageen verbessern die Konsistenz, mögliche Interaktionen mit dem Mikrobiom.
  • Isolierte Proteine (z. B. Molkenprotein-Isolat) sind hochkonzentriert, aber oft stark verarbeitet.
  • Konservierungsstoffe verlängern die Haltbarkeit, können jedoch das Mikrobiom beeinflussen. Wer auf natürliche Eiweissquellen wie beispielsweise Hülsenfrüchte, Eier, Fisch, Nüsse oder auch Quark setzt, kann solche Zusätze im Essen vermeiden.

Was passiert bei einer Überdosis an Proteinen im Körper?

Die Nieren müssen mehr arbeiten, um das Abbauprodukt Harnstoff auszuscheiden. Das kann langfristig zu Nierensteinen führen. Eine «High-Protein»-Ernährung hat aber auch Auswirkungen auf die Verdauung. So verändert sich beispielsweise das Mikrobiom und der Stuhlgang. Da die Eiweisse im Darm verstoffwechselt werden, kann es letztlich zu mehr Blähungen führen. Das ist sehr unangenehm.

Viele Jugendliche greifen zu Proteinpulvern, um mehr Muskeln zu bekommen. Ist das ein Risiko?

Ja. Influencer und das Internet spielen hier eine grosse Rolle. Es gibt bei der Proteinaufnahme zwar eine gewisse Toleranzgrenze, aber wer täglich über zwei Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht über einen längeren Zeitraum konsumiert, geht ein Risiko ein. Ich würde dies auf keinen Fall empfehlen. Denn erstens bringt es nichts – der Muskel kann das gar nicht aufnehmen. Und zweitens kann es gesundheitliche Folgen haben.

Das Gespräch führte Barbara Reye.

Radio SRF 4 News, 22.09.2025, 05:40 Uhr ; 

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