Krankes Blut heilen - Verbesserte Therapie für eine der tödlichsten Erbkrankheiten
Weltweit kommen jedes Jahr etwa 400’000 Kinder mit Sichelzellanämie zur Welt. Sie gilt als jene Erbkrankheit, die am häufigsten zum Tod führt. Seit wenigen Jahren gibt es eine teure und aufwändige Therapie dafür. Die Forschung versucht derweil, diese zu verbessern.
Schuld ist ein winziger Fehler im Erbgut: Ein einziger falscher Buchstabe im langen DNA-Molekül führt dazu, dass die roten Blutkörperchen nicht korrekt gebaut werden. Wenn dieser genetische Tippfehler in beiden Kopien des Erbguts vorkommt, dann bricht die Sichelzellanämie bei Betroffenen aus.
Im Knochenmark werden dann deformierte rote Blutkörperchen gebildet. Diese Blutzellen sind nicht rund und elastisch, sondern zirkulieren als brüchige, sichelförmige Zellen im Körper. In dieser Form verklumpen sie leicht und verstopfen feine Blutgefässe, zum Beispiel in der Lunge oder im Gehirn. Knochenschmerzen und Wachstumsstörungen treten schon bei Kindern auf. Organe werden mit der Zeit dauerhaft beschädigt.
Sichelzellanämie – eine perfide Erkrankung
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Sichelzellanämie ist eine genetisch bedingte Erkrankung der roten Blutkörperchen. Betroffene leiden an Blutarmut, an Schmerzen in den Knochen und in der Brust. «Besonders heftig leiden Betroffene während sogenannter Sichelzell-Krisen», sagt Jakob Passweg, Chefarzt an der Klinik Hämatologie am Universitätsspital Basel. «Zu einer Krise kann es kommen, wenn Betroffene eine virale Infektion erleiden oder weniger Sauerstoff in den Körper gelangt.»
Die enormen Schmerzen der Betroffenen können Ärztinnen und Ärzte etwas lindern, indem Betroffene Transfusionen mit gesundem Blut erhalten. Auch gibt es Medikamente, die den Anteil gesunder Blutzellen etwas erhöhen können. «Leider leben viele Betroffene in Gebieten, wo die medizinische Versorgung nicht sehr gut ist», sagt Jakob Passweg. Viele Kinder sterben noch vor ihrem fünften Geburtstag.
Die Sichelzellanämie kommt vor allem in den Malariagebieten auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent vor. Das ist kein Zufall. Der winzige Fehler im Erbgut, der Sichelzellanämie auslösen kann, sorgt dafür, dass das Blut eines Betroffenen weniger gut vom Malaria-Parasiten befallen werden kann. Diese genetische Abweichung erwies sich also evolutionär als Schutz vor schweren Malariaverläufen. Sie ist allerdings nur ein Vorteil, solange dieser genetische Tippfehler ausschliesslich in einer Kopie des Erbguts vorliegt. In diesem Fall erleiden die Träger dieser genetischen Variante keine Symptome der Sichelzellanämie. Erst wenn der Tippfehler in beiden Erbgut-Kopien vorliegt, bricht die Krankheit aus.
Seit gut eineinhalb Jahren gibt es eine Therapie für Sichelzellanämie. Sie erweist sich als wirksam – ist aber sehr teuer und aufwändig. Konkret entnehmen Ärztinnen den Betroffenen etwas Knochenmark und gen-editieren dieses im Labor. Mit Hilfe der Genschere CRISPR schalten sie dabei ein bestimmtes Gen in den Blutstammzellen aus.
So funktioniert die CRISPR-Therapie
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Kinder, die mit Sichelzellanämie zur Welt kommen, zeigen in den ersten etwa sechs Monaten noch keine Krankheitssymptome. Der Grund dafür liegt darin, dass im Körper der Babys während der ersten Lebensmonate noch das fötale Blut zirkuliert. Dieses Blut ist anders zusammengesetzt als das Blut von Erwachsenen. Der genetische Fehler der Sichelzellkrankheit kommt darin nicht zum Tragen, die roten Blutzellen sind intakt.
Bei der Geburt wird ein Gen aktiviert, das die Produktion von fötalem Blut stoppt. Stattdessen werden rote Blutzellen produziert, wie sie auch Erwachsene besitzen. Bei Sichelzellanämie-Erkrankten sind diese Blutkörperchen grösstenteils deformiert.
Die CRISPR-Therapie zielt nun auf jenen genetischen Schalter ab, der bei Neugeborenen die Produktion von fötalem Blut herunterfährt. Die Genschere schaltet in den Blutstammzellen das betreffende Gen aus. In der Folge produzieren die Blutstammzellen, wenn sie wieder ins Knochenmark ihres Trägers zurücktransferiert sind, fötales Blut. Erwachsene sind mit diesem Blut zwar nicht optimal versorgt, da es abgestimmt ist auf den Blutkreislauf einer schwangeren Mutter und ihrem ungeborenen Kind. Aber die roten Blutzellen darin sind gesund und verursachen den therapierten Personen keine Schmerzen.
Bevor die Betroffenen dieses veränderte Knochenmark wieder injiziert bekommen, müssen sie sich einer Chemotherapie unterziehen. Dadurch wird das verbliebene Knochenmark im Körper ausgeräumt. Nur so kann sich das behandelte Knochenmark genügend ausbreiten und dann gesundes Blut produzieren.
Erfolgreich – aber teuer und aufwändig
Bis heute wurden weltweit etwa 150 Betroffene mit Sichelzellanämie auf diese Weise erfolgreich behandelt. «In der Schweiz wurde bis anhin keine Behandlung damit durchgeführt», sagt der Hämatologe Jakob Passweg vom Universitätsspital Basel. «Aktuell ist noch nicht klar, wer die Kosten dafür übernehmen würde.» Etwa zwei Millionen Franken kostet die Behandlung. Und sie ist – vor allem wegen der erforderlichen Chemotherapie – aufwändig und mit Risiken verbunden.
Die Forschung arbeitet darum an verbesserten Ansätzen. Im Fachmagazin «Science» sind soeben die Resultate eines solchen neuen Ansatzes veröffentlicht worden. Dabei werden feinere genetische Werkzeuge eingesetzt als die Genschere, sogenannte Basen-Editoren. Sie können besonders effizient einzelne Tippfehler korrigieren – winzige genetische Abweichungen, wie auch der Sichelzellanämie eine zugrunde liegt.
Wunsch: Pille zum Schlucken
Dieses Vorgehen könnte die Behandlung sicherer machen, weil das komplexe DNA-Molekül dabei subtiler behandelt wird.
Noch fehlt aber der Nachweis, dass die Methode auch am Menschen funktioniert und sicher ist. Vor einer Chemotherapie und einer Knochenmark-Transplantation würden die Betroffenen auch dabei nicht verschont.
«Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir die Betroffenen mit einem Medikament behandeln könnten», sagt Jakob Passweg. Eine Pille zum Schlucken oder ein Mittel zum Spritzen. Auch daran wird seit Längerem geforscht. Bisher gelang es jedoch nicht, ein wirksames Medikament zu entwickeln, das auch akzeptable Nebenwirkungen hat.