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Den Mechanismen von Long Covid auf der Spur
Aus Wissenschaftsmagazin vom 16.12.2023. Bild: IMAGO/PhotoAlto
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Langzeitfolgen von Corona Für Long-Covid-Betroffene zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer ab

Forschende arbeiten mit Hochdruck daran, die Krankheitsmechanismen von Long Covid zu erschliessen. Bereits werden erste Medikamente getestet, die bei den Ursachen ansetzen.

Long Covid ist ein Syndrom: keine klar identifizierbare Krankheit, sondern eine Kombination vieler verschiedener Symptome. Die häufigsten gemäss WHO sind Fatigue (schwere Erschöpfung), Kurzatmigkeit und kognitive Beeinträchtigungen wie Sich-nicht-konzentrieren-können.

Entfesselte Immunreaktion

In der Forschung zeichnet sich immer deutlicher ab: Long Covid ist Teil eines komplexen Autoimmungeschehens. «Ein Teil des Virus hat Eingang gefunden in unser Genom, dort wird es in Schwächephasen immer wieder reaktiviert und hält so einen dauerhaften Entzündungsprozess in Gang», sagt Margret Hund-Georgiadis, Neurologin und Chefärztin des Rehab Basel, einer Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie. Der autoimmunologische Ansatz würde auch erklären, warum die Erkrankung so wenig fassbar sei.

Das Rehab Basel ist eines von fünf Schweizer Studienzentren für die Testung von Temelimab der Genfer Firma GeNeuro. Temelimab ist ein Wirkstoff, der auf den Zelloberflächen ein bestimmtes Protein blockieren soll.

Im Visier: ein HERV-Protein

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Temelimab ist gegen ein sogenanntes HERV-Protein auf der Zelloberfläche gerichtet. HERVs sind Überbleibsel aus humanen endogenen Retroviren (HERVs), deren virale DNA im Lauf der Evolution in die menschliche DNA integriert wurde. Forschende schätzen, dass das menschliche Genom zu mindestens acht Prozent aus humanen endogenen Retroviren besteht. Der allergrösste Teil dieser viralen DNA ist zwar defekt; aber unter Krankheitsbedingungen können bestimmte genetische Sequenzen offenbar trotzdem Proteine produzieren. Viele Studien haben dies belegt.

Genau dies scheint bei Long Covid der Fall zu sein: Bei einem Teil der Betroffenen findet sich im Blut ein bestimmtes HERV-Protein, das sogenannte W-ENV-Protein. Im Körper gesunder Menschen wird es nicht hergestellt. Die Forschenden vermuten, dass die Covid-Infektion bei manchen Menschen die Produktion dieses HERV-Proteins auslöst, das folglich von der Immunabwehr als «fremd» erkannt wird. Das könnte die schädlichen Autoimmunprozesse erklären.

Die Forscher gehen davon aus, dass dieses Protein bei der entfesselten Immunreaktion mancher Long-Covid-Betroffener eine zentrale Rolle spielt. «Wir hoffen, dass wir damit zum ersten Mal einen kausalen Ansatz hätten, die immunologische Reaktion zu unterbrechen», sagt Margret Hund-Georgiadis.

Die doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie läuft derzeit, am Rehab Basel sind die Tests im Mai 2024 abgeschlossen. Sämtliche der knapp 40 Probandinnen und Probanden würden das Medikament gut vertragen, egal, ob sie Temelimab oder das Scheinmedikament bekommen hätten, so die Chefärztin. Ergebnisse gebe es noch keine, aber: «Inzwischen haben wir bei den Patienten erfreuliche Verläufe gesehen.»

Schauplatz Zelloberfläche

Auch das Biotech-Unternehmen Berlin Cures verfolgt bei Long Covid einen autoimmunologischen Ansatz. Die Berliner Firma hat sich auf Autoimmunerkrankungen spezialisiert, die durch sogenannte funktionelle Antikörper verursacht werden. Auch hier ist der Schauplatz des Geschehens die Zelloberfläche, erklärt Axel Mescheder, medizinischer Direktor von Berlin Cures: «Die funktionellen Autoantikörper richten sich gegen bestimmte Rezeptoren und aktivieren diese übermässig, damit können Autoimmunerkrankungen entstehen wie eben Long Covid.»

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Long Covid: Komme ich da je wieder raus?
26:08 min Bild: SRF
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Berlin Cures hat einen Wirkstoff entwickelt, der solche Prozesse stoppen kann. BC 007. «BC 007 ist in der Lage, an diese Autoantikörper zu binden und sie zu neutralisieren», sagt Axel Mescheder. Die Autoantikörper büssen nicht nur ihre schädliche Funktion ein, sondern werden mit der Zeit gar nicht mehr produziert. «Das führt dazu, dass der Krankheitsverlauf abflacht.»

Vier Erstversuche mit BC 007 im Jahr 2021 waren erfolgreich, nun muss sich weisen, ob es bei Patienten tatsächlich wirkt. Im Juni 2023 hat Berlin Cures in Deutschland eine klinische Phase-II-Studie mit dem Medikament gestartet. Inzwischen sind weitere Studienzentren in Europa dazugekommen, so kürzlich auch zwei in der Schweiz: das Triemli-Spital in Zürich und eine Klinik in Basel. Axel Mescheder ist optimistisch: Zwar hätten nicht alle Long-Covid-Betroffenen diese funktionellen Autoantikörper im Blut, «aber bei denjenigen, wo das der Fall ist, besteht die berechtigte Hoffnung, dass wir einem erheblichen Teil der Patienten helfen können.»

Wissenschaftsmagazin, 16.12.2023, 12:40 Uhr

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