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Personalisierte Krebstherapie Mit kleinen Tumor-Avataren Lungenkrebs bekämpfen

Einem Genfer Forschungsteam gelingt es erstmals, aus Lungenkrebszellen im Labor kleine Tumor-Avatare zu züchten. Das eröffnet den Weg zu einer personalisierten Behandlung.

Die Statistik zum Lungenkrebs macht wenig Mut: Nur eine von vier Personen, die an einem Tumor in der Lunge erkranken, ist fünf Jahre nach der Diagnose noch am Leben. Lungenkrebs ist weltweit für fast 20 Prozent der krebsbedingten Todesfälle verantwortlich.

 «Es gibt viele Formen von Lungenkrebs», sagt die Biologin Véronique Serre-Beinier vom Universitätsspital Genf. Nicht alle würden gleich gut auf die verschiedenen Behandlungsmethoden ansprechen.

Wir erproben ausserhalb des Patienten oder der Patientin, an Zellkulturen, welche Medikamente wirksam sind – und welche nicht
Autor: Véronique Serre-Beinier Biologin am Universitätsspital Genf

 Serre-Beinier will mit ihrer Forschung die Überlebenschancen bei Lungenkrebs erhöhen – mit einem personalisierten Ansatz. Dabei soll die Therapie auf den jeweiligen Patienten und das spezifische Profil «seines» Tumors abgestimmt werden. Mit einem Umweg übers Labor: «Wir erproben ausserhalb des Patienten oder der Patientin, an Zellkulturen, welche Medikamente wirksam sind – und welche nicht», sagt Serre-Beinier.

Tumor-Avatare wachsen schwebend

Im Labor testen, ob Tumorproben auf bestimmte Medikamente ansprechen: Das kennt man bereits in der Krebsmedizin. Doch Véronique Serre-Beiniers Zellkulturen sind besonders: Sie sind dreidimensional. Ihr ist es gelungen, im Labor kleine Minitumore zu kultivieren, die aus den Krebszellen von Patienten herangewachsen sind.

Es ist das erste Mal, dass ein Forschungsteam dies bei Lungenkrebs geschafft hat:

«In den Inkubatoren unseres Labors haben wir die Zellen erst klassisch vermehrt; klassisch bedeutet: zweidimensional. Dann, mit genügend Zellen, lassen wir sie zu dreidimensionalen Minitumoren heranwachsen», erklärt die Biologin.

Diese Tumor-Avatare entwickelten sich sozusagen in der Schwebe. Sie brauchen keine Matrix, also keine stützende Struktur, um wachsen zu können. «Nach 15 bis 20 Tagen sind sie genügend robust, um sie Medikamenten auszusetzen.»

Lungenkrebs wird medikamentös nebst Chemotherapie auch mit gezielten Therapien («targeted therapies») behandelt. Dabei werden Mutationen der Krebszellen direkt angegriffen – eine effiziente Methode. Die Krux dabei: 30 bis 40 Prozent der Patienten entwickeln Resistenzen – ihre Tumorzellen passen sich der Behandlung an.

«Mithilfe von Minitumoren im Labor kann man solche Resistenzen vermeiden», sagt Serre-Beinier. Auch Nebenwirkungen der Chemotherapie liessen sich so reduzieren.

Neue Methoden befruchten einander

Die Idee, Medikamente an gezüchteten Minitumoren zu testen, ist in der Onkologie nicht neu. Auch beim Darmkrebs oder Blasenkrebs wird dazu geforscht.

Was in der Petrischale oder im experimentellen Setting funktioniert hat, funktioniert dann im Patienten möglicherweise nicht.
Autor: Jakob Passweg Chefarzt am Universitätsspital Basel

Jakob Passweg ist Chefarzt am Universitätsspital Basel und Präsident der Stiftung Krebsforschung Schweiz. Er findet den Ansatz des Genfer Forschungsteams interessant. In der Krebsforschung sei es häufig so, dass sich neue Methoden gegenseitig befruchten würden. Bei den gezüchteten Minitumoren hat er aber auch Vorbehalte: «Zellkulturen sind nicht das Gleiche wie Krebszellen im Körper», sagt der Hämatologe. «Was in der Petrischale oder im experimentellen Setting funktioniert hat, funktioniert dann im Patienten möglicherweise nicht.» Deswegen müsse man diese Methode rigoros in klinischen Studien testen, so Jakob Passweg.

Das ist der momentane Stand der Lungen-Minitumoren. Véronique Serre-Beinier sagt, der nächste Schritt sei eine Pilotstudie mit Patientinnen und Patienten.

Wenn alles gut laufe, könnte die Methode in drei bis fünf Jahren im Spital zum Einsatz kommen.

Echo der Zeit, 04.02.2024, 18:00 Uhr

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