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Pest im Mittelalter Kam der «Schwarze Tod» wegen Vulkanausbrüchen nach Europa?

Die Pest hat im Mittelalter schätzungsweise einem Drittel der Bevölkerung das Leben gekostet. Wie der Erreger nach Europa gelangte, ist bis heute umstritten. Nun liefert die Klimaforschung Belege für eine überraschende, neue These.

Angeblich brachten infizierte Leichen den «Schwarzen Tod» nach Europa. Im Jahr 1346 schossen Angreifer «Pestleichen» über die Stadtmauern einer italienischen Kolonie. Matrosen hätten sich an diesen Leichen infiziert und die Pest dann über ihre Schiffe nach Europa gebracht.

So steht es in einer Quelle. «Wir glauben aber, dass die Pest als Folge von Vulkanausbrüchen nach Italien kam», erklärt Martin Bauch vom Leibniz Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas in Leipzig.

Drastische Darstellung einer Hungersnot.
Legende: Italien wurde vor dem Ausbruch der Pest von einer schweren Hungersnot heimgesucht. imago images/Heritage Images

Hungersnot vor Ankunft der Pest

Im Fachmagazin «Nature Communications Earth & Environment» liefert der Historiker jetzt Beweise für seine neue Theorie. «Mir war schon länger aufgefallen, dass in den Jahren vor dem Ausbruch der Pest eine schlimme Hungersnot in Italien herrschte», so Bauch. «Eine so lang anhaltende Erntekrise lässt sich aber nur durch eine massive Klimaveränderung erklären.»

Baumringe belegen Kälteeinbruch

Um diese Theorie zu testen, führte Martin Bauchs Kollege, der aus der Schweiz stammende Klimaforscher Ulf Büntgen, Baumringanalysen durch. Genauer gesagt untersuchte er die Dicke von Wachstumsringen, die die Bäume in den Jahren vor Ausbruch der Pestpandemie angelegt hatten.

Aschespuren in Eisbohrkernen

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Ein Mann hält einen Eisbohrkern.
Legende: imago images/Aurora Photos

Auf die Vulkan-Theorie deuten auch Analysen an sogenannten Eisbohrkernen hin. Diese Eissäulen werden über mehrere Meter aus Eisschilden oder Gletschern herausgebohrt. Sie liefern Forschenden wichtige Informationen über das Klima der vergangenen Jahrhunderte, weil auf Gletschern jedes Jahr eine neue Eisschicht abgelagert wird.

«Geologen haben in den Ablagerungen aus den Jahren vor Ausbruch der Pest in Europa Hinweise auf höhere Sulfatmengen in der Atmosphäre gefunden», erklärt Klimaforscher Büntgen. «Und das ist ein Zeichen für starke vulkanische Aktivität.»

Tatsächlich konnte der Klimaforscher in diesen Ringen sehen, dass das Wachstum der Pflanzen in den beiden Jahren vor Ankunft des Schwarzen Todes in Italien stark zurückgegangen war. Doch was war der Grund dafür?

«Wir vermuten, dass ein oder mehrere Vulkanausbrüche in Europa zu einem Kälteeinbruch geführt haben», so Ulf Büntgen. «Die tiefen Temperaturen haben das Wachstum der Pflanzen gebremst und massive Ernteausfälle verursacht.»

Rattenflöhe brachten den Tod

Damals, kurz vor Ausbruch der Pest könnte sich also Folgendes abgespielt haben: Die Aschewolken von Vulkanausbrüchen führten dazu, dass weniger Sonnenstrahlen die Erde erreichten. Die Folge waren Ernteausfälle und Hungersnöte. Und hier kommt der Pesterreger ins Spiel: Um den Hunger der Menschen zu stillen, hat die italienische Regierung grosse Mengen Getreide aus Ländern importiert, die am Schwarzen Meer liegen. Diese sind auf dem Seeweg transportiert worden.

Aufnahme eines Rattenflohs.
Legende: Xenopsylla cheopis Männliche Rattenflöhe sind 1.4 bis 2 Millimeter lang, weibliche Tiere 1.9 bis 2.7 Millimeter. Als Wirt dienen verschiedene Nagetiere, darunter Wanderratten und Hausratten, sowie der Mensch. imago images/CDC

«An Bord der Schiffe gab es aber auch Rattenflöhe, die mit dem Pesterreger infiziert waren», so Martin Bauch. Stechen diese Flöhe Menschen, übertragen sie den Erreger. «Diese Flöhe können problemlos in Getreide überleben, weshalb wir davon ausgehen, dass sie an Bord dieser Schiffe nach Italien gelangt sind und dort Menschen mit der Pest infizierten.»

Pest im Schlepptau von Getreide

Tatsächlich ist in zeitgenössischen Schriften dokumentiert, dass die Pest in der norditalienischen Stadt Padua 1348 nur wenige Wochen nach einer grossen Getreidelieferung ausgebrochen ist. «Städte wie Mailand oder Rom, die sich selbst mit Getreide versorgten, blieben aber zunächst vom Schwarzen Tod verschont», so Historiker Bauch.

Zwar liefern die neuen Indizien keinen endgültigen Beweis: Doch das Zusammenspiel aus vulkanischer Aktivität, Kälteeinbruch und eingeschleppten Flöhen ergibt ein schlüssiges neues Gesamtbild vom Beginn einer der verheerendsten Pandemien der Menschheit.

Radio SRF 4 News, 4.12.2025, 17:50 Uhr

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