Die Lust auf Süsses ist uns in die Wiege gelegt. Bereits Säuglinge reagieren instinktiv positiv auf etwas Süsses, da auch Muttermilch süss schmeckt. Von den fünf Geschmacksrichtungen süss, salzig, sauer, bitter und umami empfinden wir süss immer als angenehm. Es ist also nicht verwunderlich, dass Süssigkeiten aller Art beim Menschen seit jeher beliebt sind.
Wenn da nur nicht die negativen Begleiterscheinungen wären.
Heute essen wir zwanzig Mal mehr Zucker als noch vor 150 Jahren. Übergewicht, Diabetes und Karies sind die Folge. Das erkannten Ärzte und Wissenschaftler schon im 19. Jahrhundert. Deshalb und weil der Zucker lange Zeit ein Luxusartikel und somit sehr teuer war, suchten Forscher nach Alternativen. Und fanden sie 1879 eher zufällig: Bei einem missglückten Labor-Experiment bekleckerte sich der deutsche Forscher Constantin Fahlberg mit einer Flüssigkeit, die zu seiner Überraschung süsslich schmeckte. Er nannte den gefundenen Stoff «Saccharin». Der erste künstliche Süssstoff war gefunden.
Der kleine Unterschied
Süssstoffe und Zuckeraustauschstoffe gehören zu den so genannten Zuckerersatzstoffen.
- Die beiden Gruppen unterscheiden sich vor allem im Brennwert. Süssstoffe haben keine Kalorien, Zuckeraustauschstoffe enthalten in etwa halb so viele Kalorien wie Zucker.
- Süssstoffe sind synthetisch hergestellte (Saccharin) oder natürliche (Stevia) Stoffe, die eine bis zu siebenhundert Mal höhere Süsskraft als Zucker haben. Zuckeraustauschstoffe (Xylit, Sorbit, Erythrit) hingegen sind süss schmeckende Kohlenhydrate (Zuckeralkohole), die ähnlich süss wie Zucker sind.
- Alle Zuckerersatzstoffe sind zahnschonend. Da sie zu den Lebensmittelzusatzstoffen gehören, sind sie zulassungspflichtig und müssen auf den Lebensmitteln mit E-Nummern gekennzeichnet sein.
Zuckerfrei ist trendy
Was vor einigen Jahren nur für Diabetiker relevant war, interessiert heute eine breite Masse. Abnehmen oder Diät halten mit Zuckerersatzstoffen klingt verlockend. Zuckerfreie oder zuckerreduzierte Lebensmittel liegen im Trend. Das bestätigen Ernährungsberater aber auch Ernährungsmediziner.
«Vor allem seit Stevia in der Schweiz als Pulver erhältlich ist, steigen bei uns die Anfragen bezüglich Verträglichkeit und Menge, die unbedenklich konsumiert werden darf», erklärt Sarah Sigrist, Oberärztin und Verantwortliche für Ernährungsmedizin am Kantonsspital St. Gallen. Und auch Danja Spring, Medienverantwortliche bei Betty Bossi bestätigt den Trend: «Die Anfragen, wie man Stevia in der Küche verarbeitet, nehmen stetig zu.»
Erlaubt ist in der Schweiz vor allem das Extrakt aus den Blättern der Stevia-Pflanze, das Steviol Glykosid. Gemäss Richtlinien gelten rund zehn Milligramm des hochreinen Pulvers pro Kilogramm Körpergewicht und Tag als unbedenklich. Eine 60 Kilogramm schwere Frau dürfte demnach gerade einmal 0,6 Gramm Steviol Glykosid täglich konsumieren. Der Süsse tut das allerdings keinen Abbruch – das Glykosid der südamerikanischen Pflanze ist bis zu 300 Mal süsser als Zucker und dabei eben auch noch kalorienfrei.
Zusatzstoffe wie die Zuckerersatzstoffe, die sich hinter so exotisch technisch klingenden Namen wie «Erythrit», «Aspartam», «Saccharin» oder eben «Stevia» verbergen, gehören bei uns zu den am besten untersuchten Substanzen in der Nahrung. Ihre Anwendung wird vom Bundesamt für Gesundheit überprüft, und sie werden nur in dem Masse zugelassen, wie sie für die Gesundheit der Bevölkerung als unbedenklich gelten. Steviol Glykosid muss denn auch deklariert werden und trägt die E-Nummer 960.
Gesund, oder?
Trotzdem kursieren seit Jahrzehnten Mythen zur Verträglichkeit solcher Stoffe. So stehen die einen im Verdacht Krebs zu erzeugen. Bei anderen heisst es, sie machen Heisshunger und deshalb eher dick als dünn.
Schon in den 70er-Jahren haben Wissenschaftler an Ratten und Affen experimentiert und teilweise ist es bei den Ratten bei der Gabe von Cyclamat und Saccharin vermehrt zu Blasenkrebs gekommen. Die Ergebnisse wurden aber in anderen Studien nicht bestätigt, und die Tiere mussten in dieser einen Studie täglich mehr als das eigene Körpergewicht der Substanz fressen. Auch beim kontroversen Thema Heisshunger gehen die Studienergebnisse auseinander. Das letzte Kapitel ist hier sicher noch nicht geschrieben.
Gesichert ist hingegen, dass Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit und Xylit ab einer bestimmten Konsummenge Durchfall verursachen können. Da diese Stoffe die Zähne vor Karies schützen, findet man sie vor allem in Bonbons und Kaugummis. Paul Walter, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung, erklärt die unangenehme Nebenwirkung: «Das sind eben Stoffe die süss sind aber nicht oder nur langsam in Glucose umgewandelt werden. Gerade bei Sorbit kann es dann bei grösseren Mengen zu Blähungen kommen, da auch Mikroorganismen im Darm diesen Stoff abbauen.» Natürlich ist das eine Frage der Menge und es reagiert auch nicht jeder Mensch gleich auf diese Stoffe.
Wie beim Zucker gilt auch bei den Zuckerersatzstoffen: Das richtige Mass macht’s.