Bevor das Ebola-Virus sein Leben umkrempelte, arbeitete Ian Crozier als Arzt im ostafrikanischen Uganda. Er habe dort viele Menschen sterben sehen, erzählt er, von Infektionen dahingerafft oder Bombenopfer. «Aber nichts kann einen auf ein Ebola-Spital vorbereiten. Noch nie habe ich eine solche Zerstörung gesehen, wie sie das Virus anrichtet.»
Das aggressive Virus raube seinen Opfern die Würde. Sie leiden enorm, an starkem Durchfall, an Erbrechen, an hohem Fieber. Ian Crozier und seine Kollegen versorgten 80 bis 90 Patienten aufs Mal. Manchmal starben pro Tag sechs, sieben von ihnen oder mehr. Ian Crozier litt darunter, dass er die Patienten im Schutzanzug pflegen musste, sie nur seine Augen sehen konnten, nur seine gedämpfte Stimme hören.
In all diesem Schrecken gab es auch Zeichen der Hoffnung. Zum Beispiel die Brüder Victor, Scheku und Ibrahim. Victor, mit 11 der älteste, war schwer erkrankt. Ian Crozier sah in zum ersten Mal während einer Nachtschicht, als er inmitten von Erbrochenem und Kot lag. «Die beiden jüngeren Brüder sassen in Victors Ausscheidungen, in Panik, aber sie wichen nicht von seiner Seite.» Ian Crozier fürchtete, Victor werde die Nacht nicht überleben. Der Junge kam durch diese Nacht, seine beiden Brüder erkrankten auch, aber schliesslich überlebten alle.
Den Freudentag ihrer Entlassung aus dem Spital hat Ian Crozier jedoch verpasst: «Am 7. September vor einem Jahr bekam ich Fieber und Muskelschmerzen. Ich schloss mich im Hotelzimmer ein und zapfte mir Blut ab für den Test.»
Einige Stunden später die Gewissheit: Ebola. Natürlich habe er Angst gehabt, sagt Ian Crozier, doch dann habe er sich mit den Augen des Arztes betrachtet, um Abstand zu gewinnen vom eigenen Schicksal.
Nichts kann einen auf ein Ebola-Spital vorbereiten.
Zwei Tage später wurde der Amerikaner nach Atlanta in den USA ausgeflogen. Er sass im Innern einer abgedichten Plastikblase im Heck eines kleinen Jets. Als der Patient Ian Crozier während des Flugs einen Ausschlag bekam, machte der Arzt Ian Crozier ein Foto davon zur Dokumentation.
Ob er Schuldgefühle habe, dass er evakuiert worden sei, aber die vielen infizierten afrikanischen Ärztinnen und Pfleger nicht, frage ich ihn: «Danke, dass Sie diese Frage stellen. Viele tun es nicht, weil sie unangenehm ist. Lassen Sie es mich so sagen: Ich weiss, dass ich nur wegen der Evakuation noch lebe. Dafür bin ich immens dankbar. Aber gleichzeitig quält mich der Gedanke, dass andere diese Chance nicht bekamen.» Darunter seien auch Freunde gewesen.
Am 9. September 2014 zeigte das US-Fernsehen Bilder von einem Mann im Schutzanzug, der von einer Ambulanz ins Klinikgebäude geht. Es war Ian Crozier, dessen Name aber nicht genannt wurde. Dass der Patient gehen könne, sei ein gutes Zeichen, kommentierte ein Arzt des Spitals, aber – man wisse nie bei Ebola.
In der Tat: Bald ging es Ian Crozier immer schlechter. Er tauchte ab in die Bewusstlosigkeit, konnte nicht mehr selbst atmen, die Niere versagte. Pro Tag gab sein Körper 10 Liter Durchfall ab. Normalerweise werden solche Ebola-Patienten aufgegeben. Croziers Ärzte aber beatmeten ihn, hängten ihn an die Dialyse.
Nach vier Wochen wachte er langsam aus der Bewusstlosigkeit auf. Ian Croziers erste Erinnerung ist die an seine Schwester Ann, wie sie durch das Fenster ins Isolationszimmer schaut und mit ihm, dem immer noch Verwirrten, spricht wie mit einem Baby.
Ab dann ging die Erholung schnell – aber einige Wochen später ein neuer Schock: Ian Crozier konnte immer weniger sehen. Die Ärzte stachen ihm mit einer dünnen Nadel ins Auge, um eine Probe zu nehmen, und entdeckten eine Unmenge von Ebola-Viren. Die Augen wurden weich. Eines wechselte die Farbe von blau zu grün. Immerhin, das Virus war nur im Innern des Auges, ansteckend war er nicht mehr.
Ein Auge schirmt sich aktiv vor dem Immunsystem des Körpers ab, weil entzündliche Immunreaktionen es sonst schädigen könnten. Darum kann das Sehorgan offenbar zum geschützten Raum für das Ebola-Virus werden.
Nach angespannten Wochen experimenteller Behandlung war der Spuk vorbei. «Die Zeit nach Ebola ist für uns Überlebende eine böse Überraschung», sagt Ian Crozier. Denn das Leiden gehe wegen der Spätfolgen weiter: furchtbare Ermüdungszustände, Glieder- und Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Augenprobleme.
Er sei einer von 15'000, die Ebola überlebt haben, sagt Ian Crozier. Für sie müsse man nun sorgen: «Viele Überlebende in Westafrika werden sowieso schon stigmatisiert. Nachdem sie quasi einen ersten Tod überlebt haben, müssen viele zum zweiten Mal gegen eine Art Tod kämpfen, denn blind werden in Westafrika ist sehr schwierig.»
Ian Crozier ist bereits wieder mit seinem Augenarzt nach Sierra Leone und Liberia gereist. Sie wollen die medizinische Hilfe für die Ebola-Überlebenden organisieren helfen. Und Crozier hofft, dass die Erkenntnisse, die bei seiner Behandlung gewonnen wurden, nun diesen Überlebenden, aber auch zukünftigen Ebola-Kranken zugute kommen.
Die wichtigste Lektion aus seinem Fall sei Folgende, sagt Ian Crozier: «Früher dachten die Ärzte, wenn jemand so krank wird durch das Ebola-Virus wie ich, dann hilft die Intensivpflege nichts mehr – sie gefährdet nur die die Pflegenden, weil sie so viel mit Kathetern und anderem am Patienten hantieren müssen.»
Ich weiss, dass ich nur wegen der Evakuation noch lebe. Dafür bin ich immens dankbar. Aber gleichzeitig quält mich der Gedanke, dass andere diese Chance nicht bekamen.
Aber jetzt gewichteten die Ärzte die Chancen für die Patienten und die Risiken für das Personal anders. Crozier ist klar, dass die Pflege, die er bekommen hat, zu aufwendig ist für afrikanische Verhältnisse. Aber es habe trotzdem ein Umdenken stattgefunden. Manche Ärzte hätten auch in Afrika versucht, kritisch Kranke zu beatmen. Vor allem wichtig sei aber, dass der tödliche Flüssigkeitsverlust der Patienten genauer überwacht und mit Infusionen ausgeglichen werde. Und das sei auch in Afrika möglich.
Eine Untersuchung steht Ian Crozier übrigens selbst noch bevor: Er weiss nicht, ob in seinen Augen noch das Virus lauert. Die Ärzte haben bisher nicht gewagt, die rekonvaleszenten Augen anzustechen. Doch irgendwann steht dieser Test noch an.
Ian Crozier sagt, er sei einer von wenigen, die die Wirkung von Ebola sozusagen am und im Bett untersuchen konnten. Dieses Wissen will er einsetzen, um die Behandlung der Krankheit zu verbessern. Es ist seine Art, mit dem Trauma umzugehen, dass er in die USA ausgeflogen wurde und seine afrikanischen Kollegen nicht.
Über 500 Ärztinnen und Pfleger seien an Ebola gestorben, sagt Ian Crozier: «Wir müssen diese Toten ehren, indem man alles dafür tut, nie mehr so unvorbereitet zu sein.»