Wenn das Kind plötzlich nicht mehr laufen kann, epileptische Anfälle bekommt oder das Herz aus dem Takt gerät, kann eine kaum bekannte Ursache dahinterstecken: eine mitochondriale Erkrankung. Aufgrund von Gendefekten sind dann die «Kraftwerke» der Zellen, die Mitochondrien, gestört. Dies kann gravierende Folgen für Gehirn, Muskeln oder das Herz haben und je nach Schweregrad auch lebensbedrohlich sein.
Jetzt ist es erstmals gelungen, mit Hilfe eines innovativen Verfahrens der Reproduktionsmedizin das Risiko für solche bislang unheilbaren, mitochondrialen Krankheiten drastisch zu senken, beziehungsweise ganz zu eliminieren. So sind in Grossbritannien acht Babys zur Welt gekommen, bei denen die defekten Mitochondrien der Mutter im Zuge der künstlichen Befruchtung durch gesunde von einer Eizellspenderin ersetzt wurden.
Das Besondere: Die Neugeborenen besassen weiterhin das Erbgut ihrer beiden Eltern, was etwa für das Aussehen der Augen, der Grösse oder alle möglichen anderen Merkmale verantwortlich ist. Doch gleichzeitig hat das Kind auch noch sehr wenig DNA von einer Eizell-Spenderin, aber nur etwa 0.1 Prozent. Dank der neuen Methode war es möglich, dass die defekte Mitochondrien-DNA der Mutter letztlich nicht weitervererbt wird.
Die Ergebnisse der britischen Studie, durchgeführt vom Team der Newcastle University, zeigen: Alle acht Mädchen und Buben haben keine Anzeichen von schwerwiegenden Erkrankungen, entwickeln sich altersgerecht – und weisen keine oder nur noch sehr geringe, vernachlässigbare Spuren der krankmachenden mitochondrialen DNA ihrer Mütter auf.
Wir sind endlich Eltern eines gesunden Kindes – ein echter Durchbruch für uns
Grossbritannien ist weltweit das erste Land, das diese Technik gesetzlich reguliert und erlaubt hat. Jedes Jahr wird dort im Schnitt eins von 5000 Kindern mit einer folgenschweren, mitochondrialen DNA-Mutation geboren. Die klinischen Behandlungen im Rahmen der Studie wurden in Newcastle unter strengster Aufsicht durchgeführt. Acht von 22 Frauen mit einem hohen Mutationslevel wurden mit Hilfe dieser Methode schwanger.
Für die betroffenen Eltern bedeutet die neue Methode ein Leben ohne Angst vor der Weitergabe einer unheilbaren Krankheit. «Wir sind stolze Eltern eines gesunden Kindes – ein echter Durchbruch für uns», berichtet eine Mutter in der Mitteilung der Newcastle University. Und eine weitere Studienteilnehmerin: «Diese Therapie hat uns Hoffnung gegeben – und dann ein Kind. Wir sind voller Dankbarkeit.»
Medizinisches und ethisches Neuland
Ähnlich wie in Grossbritannien hat auch Australien gesetzliche Regelungen für eine mitochondriale Ersatztherapie eingeführt. «Aktuell gibt es weltweit aber erst sehr wenige Kinder, die über einen Austausch genetisch auffälliger Mitochondrien in der mütterlichen Eizelle entstanden sind», sagt die Reproduktionsmedizinerin Brigitte Leeners vom Universitätsspital Zürich. Sollte sich diese Methode langfristig als unbedenklich erweisen, gehe sie davon aus, dass man auch in der Schweiz eine Anwendung prüfen werde.
«Ziel der in Grossbritannien vorgestellten Behandlung ist die Korrektur einer schwerwiegenden, nicht behandelbaren Erbkrankheit», fügt Brigitte Leeners hinzu. Es handle sich somit bei dieser Methode nicht um eine mit der Diskussion um Designer-Babys zur Beeinflussung äusserlicher Merkmale oder bestimmter Eigenschaften wie Intelligenz oder Sportlichkeit vergleichbare Situation.