Daniel Farinotti steht hoch über Blatten auf einer Felsnase vis-à-vis des Kleinen Nesthorns. Näher als hier kann er ihm nicht kommen, diesem Berg, der am Anfang der Katastrophe von Blatten stand, der mit seinen Felsstürzen den Gletscherkollaps Ende Mai ausgelöst hat. Nun ist es Mitte August und seine Nordflanke ist weiterhin alles andere als ruhig.
Der Berg bröckelt noch immer
Pausenlos brechen Felsbrocken aus der Wand, manchmal stürzen ganze Gesteinslawinen ab. Immerhin bleibt das Material vor der Kante liegen, die der abgestürzte Gletscher freigelegt hat. Doch man fragt sich: Wie gefährlich ist das für das Tal, wo in diesen Tagen die Aufräumarbeiten in vollem Gang sind? Und wie entwickelt sich das noch?
Im Moment sei es ungefährlich, sagt Farinotti, Glaziologe an der ETH Zürich. Doch: «Wenn grössere Volumen abstürzen, können die über die Kante hinausstürzen. Und das kann gefährlich werden. Darum können gewisse Arbeiten im Tal noch nicht gemacht werden.»
Darüber, dass der Permafrost für die Ereignisse rund um den Bergsturz eine wichtige Rolle gespielt hat, ist sich die Forschung heute einig...
Warum bröckelt dieser Berg noch immer so stark? Einen Hinweis liefern dunkle Streifen im Schotterkegel. «Da ist es feucht», sagt Farinotti, «Das könnte von tauendem Permafrost kommen.» Da, wo er jetzt steht, wird er am nächsten Tag eine Messstation aufbauen. Kann diese die Permafrost-These bestätigen?
Tauender Permafrost ob Blatten
Das Kleine Nesthorn liegt in Permafrost-Höhe. Farinotti: «Darüber, dass der Permafrost für die Ereignisse rund um den Bergsturz eine wichtige Rolle gespielt hat, ist sich die Forschung heute einig. Wie genau, wird zurzeit noch untersucht.»
Der Permafrost wird auch als «Leim der Alpen» bezeichnet. Er klebt Fels, Gestein und Erde zusammen, weil er dauerhaft gefroren ist. Doch hier taut er offenbar – wie an vielen anderen Orten auch in den Alpen.
Klar ist unterdessen auch, dass das Eis des Birchgletschers temperiert, also relativ warm war, bevor er kollabiert ist. «Das war, wie wenn man einen Eiswürfel aus dem Eistee nimmt und ihn auf den Tisch legt. Der rutscht dann auf dem Tisch umher», erklärt Farinotti. So ist der Gletscher unter dem Druck der abgestürzten Felsen regelrecht weggeglitten.
Ein eindeutiger Zusammenhang mit der Klimaerwärmung ist hier gemäss Farinotti allerdings nicht gegeben. Allerdings ist der Birchgletscher schon in den Jahren zuvor nach unten gerutscht, wohl wegen der zunehmenden Temperaturen.
Der Berg wird ruhiger
Zurück zum bröckelnden Kleinen Nesthorn. Einige Wochen später sollen die Messtationen dort die Permafrost-These bestätigen. In der Nacht, wenn die Temperatur sinkt, beruhigt sich der Steinschlag. Ebenso mit den tieferen Temperaturen des sich ankündigenden Winters.
Der Berg über Blatten wird zunehmend ruhiger. Das sind – zumindest aktuell – gute Nachrichten, die auch Farinotti positiv stimmen: «Natürlich muss man zuerst evaluieren, wo es noch gefährlich ist im Tal. Aber wenn man das weiss, bin ich sicher, dass es Orte gibt, an denen Blatten wieder aufgebaut werden kann.»