ChatGPT & Co. sind in unserem Alltag angekommen. Viele fragen sich: Wie verändert diese neue Technologie unser Denken – und wie nutzen wir KI, ohne dass unser Gehirn verkümmert? Neurowissenschaftlerin Barbara Studer über passives Denken, Massagen für den Kopf und intelligente Impulse.
SRF Wissen: Digitale Hilfsmittel wie Smartphones oder Navis haben unseren Alltag schon lange geprägt. Was hat diese Entwicklung grundsätzlich in unserem Denken verschoben?
Barbara Studer: Sie haben unsere Denkweise nicht verschlechtert, aber verändert. Wir sehen vor allem eine Verschiebung von Fähigkeiten: Wenn wir zum Beispiel Navigation ans GPS abgeben, trainieren wir unser Orientierungsvermögen weniger. Gleichzeitig stärken wir andere Bereiche – etwa den Umgang mit digitalen Tools oder die Fähigkeit, Informationen schnell zu verarbeiten. Unser Gehirn reagiert sehr flexibel und passt sich dem an, was wir regelmässig nutzen.
Welche Fähigkeiten trainieren wir aktuell am stärksten?
Studien zeigen, dass unsere Aufmerksamkeit zunehmend auf schnelle Wechsel ausgerichtet wird. Wir springen dauernd zwischen Aufgaben hin und her und gewöhnen unser Gehirn daran, Informationen sofort zu bekommen.
Wenn wir unreflektiert damit umgehen, kann KI uns passiver im Denken machen. Sobald wir Denkarbeit auslagern, sinkt die Aktivierung im Gehirn.
Das wirkt sich auf Konzentration und Ausdauer aus – beides nimmt messbar ab. Wie sich diese Entwicklung langfristig auswirkt, ist noch unklar.
Und was passiert, wenn nicht nur Geräte, sondern KI selbst für uns denkt – welche Auswirkungen hat das auf unsere Denkleistung?
Wenn wir unreflektiert damit umgehen, kann KI uns passiver im Denken machen. Sobald wir Denkarbeit auslagern, sinkt die Aktivierung im Gehirn. Strukturen und neuronale Netzwerke verlieren an Volumen und Verknüpfungen. Besonders kritisch ist, dass KI oft jene Prozesse übernimmt, die unser Gehirn am stärksten stimulieren: kritisches Analysieren, kreatives Kombinieren, ideenreiches Denken. Lagern wir das aus, verlieren wir nicht nur wichtige kognitive Reize, sondern auch ein Stück Selbstbestimmtheit – und das schwächt unsere psychische Widerstandskraft.
Inwiefern betrifft das unsere psychische Gesundheit?
Wenn wir kreativ und neugierig denken, aktivieren wir unser limbisches System – das macht uns zufriedener und emotional stabiler, selbst wenn es anstrengend ist. Überlassen wir diese Prozesse der KI, verzichten wir auf genau diese positiven Effekte. Wir sollten daher nicht zu viel Kreativität an Maschinen delegieren.
Heisst das, KI macht uns letztlich weniger fähig zu denken?
Sie macht uns nicht dumm, aber weniger aktiv und weniger kritisch denkend. Gerade das kreative, verknüpfende Denken ist eine zentrale menschliche Stärke – und die sollten wir nicht aus der Hand geben.
Was können wir tun, um geistig fit zu bleiben?
Wir sollten unser Gehirn täglich herausfordern: Neues lernen, uns bewusst in die Rolle der Anfängerinnen und Anfänger begeben, kreativ arbeiten und mit anderen Menschen in Austausch gehen – all das wirkt wie eine Massage fürs Gehirn.
KI kann dabei eine hilfreiche Assistenz sein, aber kein Ersatz fürs eigene Denken. Nutzen wir sie gezielt: als Impulsgeberin, nicht als automatische Lösung. Und alles, was wir übernehmen, prüfen wir kritisch. So bleibt unser Denken lebendig, flexibel und selbstbestimmt.
Das Gespräch führte Ariane Meier.