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Abwanderung wegen Elon Musk Verliert Twitter seine Wissenschafts-Community?

Nicht erst seit der Pandemie ist Twitter auch für Forschende ein wichtiges Medium: Hier präsentieren sie Studien, debattieren mit Kollegen und Laien. Seit der Übernahme durch den Milliardär Elon Musk ist das soziale Netzwerk im Umbruch – die Schweizer Wissenschafts-Community reagiert.

Twitter und die Wissenschaft – eine unwahrscheinliche Beziehung. Das soziale Medium lebt von schneller Diskussion und steilen Thesen, die in 280 Zeichen passen müssen. All das klingt nach dem Gegenteil von wissenschaftlicher Praxis.

«Jetzt haben sich viele Kolleginnen und Kollegen abgewendet oder sind ein bisschen angewidert von den Vorgängen bei dieser Firma.» So beschreibt der Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern die Stimmung seit der Übernahme.

Grenzenlose Vernetzung in der Wissenschaft

Dennoch tummeln sich dort Forscherinnen und Forscher. Unter ihnen ist der Bioinformatiker und Chemiker Daniel Probst von der EPFL in Lausanne. Er sagt:

Twitter bringt viel für das Networking – man spricht weniger formell, man kommt mit Leuten in Verbindung, die man auf Konferenzen nicht treffen würde.
Autor: Daniel Probst Bioinformatiker

Auch der Dialog mit der breiten Öffentlichkeit sei ihm wichtig. Andere Wissenschaftler schätzen den Echtzeit-Charakter von Twitter.

Teile der Wissenschafts-Community wenden sich ab

Doch seit Elon Musk die Plattform gekauft hat, überdenkt die Wissenschafts-Community ihr Verhältnis zu Twitter.

Elon Musk hat massenweise Mitarbeiter gefeuert – auch viele, die Beiträge moderieren. Seitdem grassiert die Befürchtung, Hassrede und Falschinformationen könnten zunehmen. Zudem hat Musk das Verifikationssystem als Kennzeichen vertrauenswürdiger Quellen im Grunde abgeschafft.

Alternative zu Twitter

Probst, Althaus und Tausende ihrer Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt nutzen nun die Twitter-Alternative «Mastodon». Sie ist dezentral organisiert; kein Konzern und auch kein Milliardär lenken das Netzwerk. Stattdessen kann im Grunde jeder Teile davon betreiben. «Mastodon kommt der Philosophie des wissenschaftlichen Arbeitens durch die Transparenz, die Dezentralität, den Open-Source-Gedanken näher als Twitter», findet Althaus.

Auch die Uni Bern ist bei Mastodon. Andere Institutionen zögern. Die ETH Zürich will die Entwicklung erst beobachten, während die Akademie der Naturwissenschaften der Schweiz prüft, einen Mastodon-Kanal einzurichten.

Die Diskussionen sind kollegialer. Auf Twitter ging es mehr um Konfrontation.
Autor: Catherine Flick Computerwissenschaftlerin

Die britische Computerwissenschaftlerin und Expertin für soziale Medien, Catherine Flick, beobachtet, wie die Wissenschafts-Community auf der neuen Plattform zurechtkommt: «Die Diskussionen sind kollegialer. Auf Twitter ging es mehr um Konfrontation.»

Wie viele Wissenschaftler wechseln tatsächlich zu Mastodon? Die australische Forscherin Hilda Bastian hat jüngst die Nutzenden in jenen Teilen des Netzwerks gezählt, die sich der Wissenschaft verschrieben haben. Sie kommt auf 33‘000 – eine relativ grosse Zahl, denn insgesamt hat das Netzwerk etwa zwei Millionen aktive Nutzer. Bei Twitter sind es etwa 230 Millionen.

Die Abwanderung könnte zur Gefahr werden

Bislang fahren viele Forscher zweigleisig. Sie nutzen Twitter und Mastodon parallel. Christian Althaus kann sich vorstellen, Twitter bald ganz zu verlassen. Catherine Flick ist dort gar nicht mehr aktiv. Hier liegt eine Gefahr: Wenn die Forschenden tatsächlich abwandern sollten, könnten ihre Stimmen auf Twitter fehlen.

Der amerikanische Mediziner Eric Topol ruft seine Kolleginnen und Kollegen daher über Twitter auf, dort aktiv zu bleiben, um dem grossen Publikum Fakten und gute Informationen zu liefern. Die entscheidende Frage ist, ob Twitter eine Plattform sein wird, die solche Inhalte auch unterstützt.

«Viele warten und beobachten»

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Auf dem Bild ist Niels Mede zu sehen.
Legende: Niels Mede ist Forscher am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich und befasst sich dort unter anderem mit Wissenschaftskommunikation. John Flury / obsoquasi.ch

Herr Mede, wie wichtig sind Plattformen wie Twitter für die Wissenschafts-Community?

Viele Forschende, zum Beispiel auch ältere, oder solche, die in Disziplinen aktiv sind, die weniger mit Medien und Kommunikation zu tun haben, die sind gar nicht auf Twitter oder sind nicht unbedingt sehr aktiv. Das heisst, nur für einen Teil der Wissenschafts-Community hat Twitter eine Bedeutung für die inner- und ausserwissenschaftliche Kommunikation.

Das heisst auch, Journalisten müssen aufpassen, dass man da nicht zu stark auf einzelne, laute Leute auf Twitter reagiert?

Man kann schon sagen, dass es einige Forschende gibt, die auf Twitter sehr laut und gut vernetzt sind, aber möglicherweise gar nicht etwa die meistzitierten Forschenden sind, was auch immer das wert ist. Aber zumindest muss man sich dessen gewahr sein, denke ich, dass die Wissenschafts-Community auf Twitter nur einen Ausschnitt darstellt der ganzen Wissenschaftsgemeinde.

Sehen Sie aktuell grosse Umwälzungen und Veränderungen in den sozialen Medien in Bezug auf die Wissenschaftskommunikation?

Durch die aktuellen Ereignisse sehe ich zumindest in meinem Umfeld schon eine gewisse Dynamik. Es gibt eine gewisse Unruhe, möglicherweise auch eine gewisse Aufbruchstimmung zu anderen Plattformen wie zum Beispiel Mastodon, einer dezentralen Twitter Alternative.

Das heisst, die Leute fahren zweigleisig und schauen, wo es hingeht?

Genau, das beobachten wir zurzeit. Aber auch, um das nochmals zu relativieren: Viele in meinem wissenschaftlichen und beruflichen Umfeld machen erstmal gar nichts und beobachten.

Das Gespräch führte Daniel Theis.

Wissenschaftsmagazin, 26.11.2022, 12:40 Uhr

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