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Herzinfarkt und Stromausfall Stresstest Hitzewelle: Wie können wir uns besser vorbereiten?

Hitzewellen sind eine Belastungsprobe für Gesundheitswesen und Infrastruktur. Deshalb untersucht ein internationales Forschungsteam nun, ob gängige Klimamodelle das Ausmass der Hitze voraussagen können. Das Ziel: sich frühzeitig für Rekordhitzen wappnen.

Die aktuelle Hitzewelle hätte die Schweiz auch weitaus schlimmer treffen können. Nämlich dann, wenn bestimmte meteorologische Bedingungen aufeinandertreffen. Nach solchen Worst-Case-Szenarien sucht eine internationale Forschungsgruppe um den ETH-Professor Erich Fischer. «Nicht, um Alarmismus zu betreiben», so Klimaforscher Fischer. Es gehe vielmehr darum, eine neue Planungsgrundlage für Spitäler, Altersheime oder die Stromversorgung zu schaffen.  

49.6 Grad: eine Belastungsprobe für kritische Infrastrukturen  

«Die Motivation für unsere wissenschaftlichen Untersuchungen reicht zwei Jahre zurück», erklärt der ETH-Professor. Während der Rekordhitze von 2021 in Kanada stiegen die Temperaturen auf Höchstwerte von 49.6 Grad Celsius – fünf Grad höher als je zuvor. Die Hitzewelle verursachte etliche gesundheitliche Notfälle, Hitzetote und Waldbrände. Die hohe Nachfrage nach Klimaanlagen und Kühlungssystemen führte zu Stromausfällen.  

Die Rekordhitzewelle hatte bei Fischer Fragen aufgeworfen: Hätten gängige Klimamodelle voraussagen können, wie extrem eine Worst-Case-Hitzewelle werden kann? Wäre damit eine bessere Vorbereitung möglich gewesen? 

Das Undenkbare denken 

Die Forschungsgruppe hat mit einem üblichen Klimamodell nach den extremsten Ereignissen gesucht, mit zufälligen Abfolgen verschiedener Wetterkonstellationen. Diesen Prozess wiederholte sie mehrmals . In der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht das Team nun die Ergebnisse : Sie zeigen, dass man ein Extremereignis wie jenes in Kanada hätte voraussagen können. Und zwar dann, wenn ein extremes Hochdruckgebiet auf ein starkes Absinken der Luftmassen trifft, feuchte warme Luft vom Pazifik her strömt und es am Boden bereits sehr trocken ist. 

Heisser geht nicht: physikalisches

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Der Klimaforscher Erich Fischer hat sich auch gefragt, wie hoch Temperaturen überhaupt steigen können. Ob sich zum Beispiel die Rekordhitze von 43 Grad in Paris vom Juli 2019 noch übertreffen liesse, war völlig unklar. Denn unendlich heiss könne es nicht werden, so Fischer. Irgendwann kommt es zu einem physikalischen Limit: Ab einer gewissen Temperatur werde die Atmosphäre so labil, dass sich aufsteigende Luftströme zu Gewittern bilden. In der Folge sinken die Temperaturen, die Hitze hat ein Ende. Die Modellierungen zeigen aber, dass im Extremfall auch in Paris nochmals zwei bis drei Grad mehr möglich wären. 

Den gleichen Ansatz wenden die Forschenden auf den Grossraum Paris und Chicago an, um Worst-Case-Hitzewellen der nächsten Jahre einzuschätzen. Sie zeigen, dass schon heute Höchsttemperaturen möglich sind, welche die bisherigen Rekorde in den Schatten stellen würden. In Paris könnte eine Hitzewelle den bisherigen Temperaturrekord um zwei bis drei Grad übertreffen, in Chicago gar um sechs bis sieben Grad. 

Und die Schweiz? 

Eine Worst-Case-Hitzewelle in der Schweiz haben die Forschenden bisher nicht untersucht. Das wollen sie als Nächstes tun. Das Interesse daran bestehe bereits: Rückversicherungsgesellschaften und Energieversorger wollen mehr Gewissheit.«Wir suchen diese Zusammenarbeit ganz gezielt», so Fischer. Einen grossen Härtetest sieht Fischerin der Stromversorgung: Besonders deshalb, weil Hitzewellen tendenziell grossräumig sind und sich Nachbarregionen und -länder oft nicht aushelfen können.

Ihr Klimamodell möchten die Forschenden zukünftig auch für weitere Naturereignissen wie Hochwasser, Trockenheit oder Regenfälle anwenden. Fischer wünscht sich, dass öffentliche Behörden und private Firmen sorgfältig testen, ob unsere Gesundheitssysteme und Infrastruktur auf diese Ereignisse vorbereitet sind.

Echo der Zeit, 22.8.2023, 18:00 Uhr

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