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Krieg im Kopf Was macht der Ukraine-Krieg mit unserer Psyche?

Es ist Tag sieben des russischen Angriffs auf die Ukraine – und die Kämpfe verstärken sich. Auch wenn der Krieg in einer Entfernung von 1'790,82 km Luftlinie stattfindet, betrifft er die Schweizer Bevölkerung unmittelbar. Auch auf emotionaler Ebene.

Was macht so ein Krieg mit unserer Psyche? Was hilft gegen die bleierne Schwere, die viele von uns gerade empfinden? Und ist es überhaupt in Ordnung, solche Fragen zu stellen, wenn es anderen gerade doch so viel schlechter geht?

Matthis Schick und Naser Morina über die Moral von Katastrophen und Tipps für einen Umgang damit.

Die Experten

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Porträts von Naser Morina und Matthis Schick.
Legende: ZVG

PD Dr. phil. Naser Morina (links) ist psychologischer Co-Leiter des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer.

PD Dr. med. Matthis Schick ist leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Universitätsspitals Zürich.

SRF: Vorweg: Ist es unangebracht, zu fragen, wie es UNS gerade angesichts dieses Krieges geht?

Matthis Schick: Nein, denn egal wo man gerade an was auch immer leidet, ist das für die betroffene Person eine Belastung. Leid ist nur sehr begrenzt objektiv quantifizierbar.

Dass wir in so einem privilegierten Land wie der Schweiz geboren sind, ist einfach nur Glück. Wenn ich diese Ungleichheit als ungerecht wahrnehme, habe ich ja die Möglichkeit, mich zu engagieren – mit Spenden oder Kundgebungen zum Beispiel.

Viele Schweizerinnen und Schweizer sind das erste Mal mit einem Krieg in solch unmittelbarer Nähe konfrontiert. Was macht das mit uns?

Menschenverursachte Traumata konfrontieren uns mit dem Bösen, Tragischen und Unberechenbaren.

Naser Morina: Normalerweise gibt es drei Reaktionen auf so ein Ereignis: Man empfindet Mitgefühl mit den Betroffenen und Wut auf den Verursacher. Dann ist da diese Ohnmacht ob der diffusen Situation. Was auch aufkommen kann, ist das Bedürfnis, sich von alledem zu distanzieren. Ich glaube, viele schwanken gerade ständig zwischen all dem hin und her. Wichtig ist zu verstehen, dass dies normale Reaktionen sind. Krieg ist eine Form von Trauma.

Wir werden traumatisiert, obwohl wir nicht unmittelbar betroffen sind?

Matthis Schick: Zumindest kann so eine Katastrophe sehr starke Reaktionen triggern. Weil Krieg von Menschen verursacht ist, löst er bei uns stärkere Emotionen aus als beispielsweise Naturkatastrophen. Menschenverursachte Traumata konfrontieren uns mit dem Bösen, Tragischen und Unberechenbaren.

Durch ihre Intention bekommen sie eine moralische Färbung. Die Wissenschaft zeigt, dass wir solche Ereignisse viel schwieriger verarbeiten können.

Die grosse Solidarität, die sich insbesondere in sozialen Medien zeigt, erweckt den Eindruck, dass uns die aktuelle Situation stärker mitnimmt als etwa der Krieg in Syrien. Warum ist das so?

Naser Morina: Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Wir sind gerade erst dabei, Covid-19 emotional zu verdauen. Die Hoffnung auf Normalität war nach der Aufhebung der Massnahmen enorm gross – und jetzt das.

Matthis Schick: Natürlich spielt auch die überwältigende Informationsflut der sozialen Medien eine Rolle. Und: Unsere Betroffenheit hat auch mit der Nachvollziehbarkeit der Katastrophe zu tun.

Wie meinen Sie das?

In Syrien und den Balkankriegen hatten wir es mit sehr komplexen Faktoren zu tun, die für uns in der Schweiz schwer zu durchdringen waren. Die Situation in der Ukraine ist – zumindest auf der oberflächlichen Ebene – sehr klar: David gegen Goliath. Das grosse Russland mit Aggressor Putin gegen das kleine ukrainische Volk, das sich heldenhaft zur Wehr setzt.

Wir dürfen jetzt nicht von uns erwarten, dass wir das einfach wegstecken.

Was dazu kommt: Viele können sich mit den Werten und Lebensentwürfen der christlichen Ukrainerinnen und Ukrainer besser identifizieren als mit denen der muslimischen Syrerinnen oder Kurden. All das sind Faktoren, die dafür sorgen, dass uns dieser Krieg viel stärker trifft.

Was hilft, wenn sich diese Betroffenheit in Gefühlschaos manifestiert?

Naser Morina: Zunächst dürfen wir jetzt nicht von uns erwarten, dass wir das einfach wegstecken. Wir befinden uns in einer sehr schwierigen und stressigen Situation. Das Positive ist: Die Pandemie hat uns recht gut auf solche Situationen vorbereitet.

Inwiefern?

Auch in den vergangenen zwei Jahren mussten wir mit vielen Unsicherheiten klarkommen und lernen, mit Informationsdefiziten umzugehen. Man kann davon ausgehen, dass Menschen, die die Pandemie gut überstanden haben, auch diese Situation wegstecken werden. Was uns jetzt helfen kann, kennen wir bereits aus der Pandemie: Aktivitäten nachgehen, die uns normalerweise guttun.

Experten-Tipps gegen Überforderung

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  • Medienkonsum im Auge behalten : Versuchen Sie, sich an seriösen Medien zu orientieren. Heutzutage verbreiten sich in den Kanälen viele Unwahrheiten. Das führt zu Diskursen, die belastend sein können. Wenn Sie merken, dass Ihnen die Informationsflut zu viel wird: Machen Sie Pause. Wie lange, ist ihre Entscheidung. Es ist okay, sich zwei Tage nicht zu informieren.
  • Ein gutes soziales Netzwerk ist wichtig : Damit ist nicht nur Facebook und Instagram gemeint, sondern Freunde im echten Leben. Es ist entscheidend/wichtig, dass man sich in der jetzigen Situation nicht alleine fühlt. Sprechen Sie darüber, was sie belastet und was Sie empfinden.
  • Sich engagieren : Das kann die Teilnahme an Kundgebungen sein, die Organisation von Hilfsgütern oder Spenden. So treten Sie aus dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit heraus.

Wie können wir unserem gewohnten Alltag nachgehen, wenn der Krieg nur wenige Tausend Kilometer von uns entfernt ist?

Naser Morina: Eine gewisse Normalität aufrecht zu erhalten, ist wichtig. Es nützt den Ukrainerinnen nichts, wenn es uns schlechter geht. Indem wir widerstandsfähig bleiben, helfen wir indirekt auch den Ukrainerinnen und Ukrainern. Das normale Leben ist das, was dem Krieg die Wucht entziehen kann.

Das Gespräch führte Gina Buhl.

10 vor 10, 01.03.2022, 21:50 Uhr ; 

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