Seit zwei Jahren leben Maja und Reto Fürst in Polen. Statt in Winterthur hausen sie in einem kleinen Dorf nahe der Grenze zur Ukraine. Was sie wollten: Ein Tapetenwechsel, – die beiden suchten Einsamkeit und Natur. Aufgrund der zugespitzten Lage an der ukrainischen Grenze sieht nun alles ganz anders aus: Sie berichten über die aktuelle Lage und wie sie Flüchtenden vor Ort helfen.
SRF News: Sie wohnen ungefähr acht Kilometer weit von der ukrainischen Grenze entfernt. Wie beschreiben Sie ihre aktuelle Situation?
Maja Fürst: Es ist sehr eigenartig. Wir kamen nach Polen, um Einsamkeit und Naturnähe zu erleben, weshalb wir hier auch sehr abgeschieden wohnen. Über die aktuelle Lage haben wir deswegen vorerst auch nichts mitbekommen, – wir haben keine News konsumiert. Das hat sich jetzt geändert: Wir verbringen den ganzen Tag vor den Nachrichten und beobachten, wie sich der Krieg entwickelt.
Haben Sie Angst?
Maja Fürst: Wir haben nicht wirklich Angst. Aber dass wir so nahe am Konflikt sind, macht uns sehr betroffen. Es ist bizarr, denn wir leben hier weiterhin unser Leben, während Nachbarn auf der Flucht sind.
Reto Fürst: Mir geht es ähnlich. Krieg gibt es überall auf der Welt, aber so nahe zu sein und das Gefühl zu haben, «involviert» zu sein, ist sehr speziell: Es gab Detonationen, nur rund 100 Kilometer weit entfernt.
Wir haben nicht wirklich Angst. Aber dass wir so nahe am Konflikt sind, macht uns sehr betroffen.
Viele Ukrainerinnen und Ukrainer flüchteten bereits nach Polen. Wie leisten Sie zurzeit vor Ort Hilfe?
Reto Fürst: Unser Herz ist ganz bei den Menschen in der Ukraine. Tausende benötigen Hilfe, daher kaufen wir jeden Tag Hilfsgüter für die Flüchtenden – für die ersten Nothilfe-Stellen hier in Przemysl. Zudem stellen wir für das «shuttlen» unser Auto zur Verfügung. Es mangelt eher an Transportmittel, als an gewillten Helferinnen und Helfer.
Wir versuchen unser bestmögliches an Hilfe zu leisten. Gleichzeitig wissen wir: Im Vergleich zu anderen können wir zurück in ein sicheres Land – das ist sehr bizarr.
Wir helfen, solange wir noch können, denn irgendwann wird es zu gefährlich. Daher wollen wir unsere Hilfe vor allem jetzt anbieten, bevor es zu unsicher wird.
Maja Fürst: Wir versuchen unser bestmögliches an Hilfe zu leisten. Gleichzeitig wissen wir: Im Vergleich zu anderen können wir zurück in ein sicheres Land – das ist sehr bizarr.
Haben Sie konkret Freunde oder Betroffene, welche versuchen von der Ukraine nach Polen zu flüchten?
Reto Fürst: Ja. Wir haben zwei Freunde aus der Schweiz, dessen Familien in Kiew leben. Wir stehen in sehr engem Kontakt. Die Familien sind in die West-Ukraine geflüchtet, da die Situation dort etwas stabiler ist. Das Problem ist, sie wollen nicht ausreisen, da sie die Väter nicht alleine zurücklassen möchten. Daher versuchen die Familien bis auf Weiteres in der West-Ukraine auszuharren und hoffen auf eine Verbesserung der Lage. Wir bleiben bis dahin in ständigem Kontakt: Sobald die Situation kippt, gehen wir an die Grenze und holen sie. Dann werden sie vorübergehend bei uns wohnen, bevor sie mit unseren Schweizer Freunden in die Schweiz kommen. Im Moment ist das alles, was wir wissen.
Wie erleben Sie hier in Polen die Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainer?
Maja Fürst: Die Solidarität ist immens. Es ist herzensberührend: Polinnen und Polen nehmen fremde Menschen bei sich zu Hause auf, teils bis zu 20 Ukrainer. Menschen aus Polen, gar von ganz Europa kommen mit ihren Autos an die Grenze, um Flüchtende bei sich aufzunehmen. Das ist sehr berührend.
Das Gespräch führte Marcel Anderwert.