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Dem Kurzzeitgedächtnis auf der Spur
Aus Wissenschaftsmagazin vom 20.04.2024. Bild: IMAGO / Dreamstime
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Neues aus der Hirnforschung So funktioniert unser Kurzzeitgedächtnis

Auf welchem Gleis fährt mein Anschlusszug? Wohin habe ich meine Schlüssel gelegt? Was muss ich fürs Abendessen noch einkaufen? Täglich merkt sich unser Kurzzeitgedächtnis Dinge wie diese für Sekunden oder Minuten. Doch wie macht es das eigentlich?

Fröhlich geht man los in die Küche, auf der Suche nach etwas zu trinken. Dort angekommen: Leere im Kopf. «Was wollte ich hier bloss?», fragt man sich dann ratlos.

Wie oft passiert uns das. Vor allem, wenn wir uns ablenken lassen, ein Telefonanruf dazwischenkommt, etwas Interessantes im Radio läuft, der Hund nach Snacks bettelt, wir erschöpft und unkonzentriert sind – oder unser Gehirn erkrankt ist.

Das Kurzzeitgedächtnis ist wie eine Leuchtschrift, die für einen kleinen Moment aufleuchtet, und dann wieder erlischt.
Autor: Ueli Rutishauser Professor für Neurowissenschaft, Cedar-Sinai-Hospital Los Angeles

Kein Wunder, wie ein Blick auf die Neurowissenschaft deutlich macht. «Das Kurzzeitgedächtnis ist sehr fehleranfällig», sagt Ueli Rutishauser. Der Schweizer lebt seit zwölf Jahren in Kalifornien und forscht dort am Cedar-Sinai-Hospital in Los Angeles. «Es ist derart fehleranfällig, weil die Aktivierung des Kurzzeitgedächtnisses für unser Gehirn sehr aufwendig ist.»

Ein komplexes Zusammenspiel

Damit das Gehirn diese Leistung bringen kann, müssen ganz verschiedene Bereiche des Gehirns zusammenarbeiten, sagt Ueli Rutishauser. Genauer gesagt, drei Gruppen von Nervenzellen. Das konnte er zusammen mit Kollegen durch Experimente zeigen.

Studie mit Epilepsiepatienten

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Versuche am Gehirn sind schwierig. Die allermeisten Experimente, die man machen müsste, um Spannendes über seine Arbeitsweise herauszufinden, kann man im Menschen nicht machen. Das wäre zu gefährlich und es wären viel zu starke Eingriffe.

Eine Ausnahme gibt es allerdings: Experimente mit Epilepsie-Betroffenen. Bei manchen Epilepsie-Patientinnen und Patienten nämlich lässt sich von aussen nicht feststellen, wo in ihrem Gehirn die Anfälle ihren Anfang nehmen. Um die Ursprungsorte der Epilepsieanfälle zu finden, führen Mediziner diesen Patienten über kleine Löcher in der Schädeldecke, Elektroden ins Gehirn. So können sie die gefährlichen Anfälle sozusagen live mitverfolgen. Weil Epilepsieanfälle nun nicht andauernd auftreten, sondern nur sporadisch, sitzen die Patienten mehrere Wochen lang im Spital und warten auf einen Anfall. In dieser Zeit können Forscherinnen und Forscher die Elektroden im Gehirn der Patienten nutzen, um zum Beispiel das Kurzzeitgedächtnis zu untersuchen.

Das hat Ueli Rutishauser in seiner Studie gemacht. Er zeigte den Patienten Bilder, von Autos, Landschaften und Menschen, und verfolgte über die Elektroden gleichzeitig die Aktivität in ihrem Gehirn. Bilder verwendete er, weil die, sagt er, eine viel stärkere Reaktion im Gehirn hervorrufen als zum Beispiel geschriebene Worte.

Bisher war nur ansatzweise verstanden worden, wie es unserem Hirn gelingt, sich kurzzeitig Dinge zu merken. «Das Kurzzeitgedächtnis ist wie eine Leuchtschrift, die für einen kleinen Moment aufleuchtet, und dann wieder erlischt», sagt Rutishauser. Verstanden hat die Hirnforschung schon relativ gut, wie unser Gehirn sich langfristig Dinge merkt, und wie Informationen im Gehirn schnell von Zelle zu Zelle geschickt wird.  

Was im Gehirn passiert

Doch nun ist klar, wo diese Leuchtschrift, also das Kurzzeitgedächtnis, sitzt: im Hippocampus nämlich, einer Nervenregion tief im Innern des Gehirns. Eine Gruppe von Nervenzellen kommt dort in eine Art «Dauersignal-Sendezustand». «So lange, wie sie aktiv sind, so lange hält auch das Kurzzeitgedächtnis», sagt Rutishauser.

3D-Illustration eines weiblichen Kopfprofils mit Gehirn
Legende: Das Kurzzeitgedächtnis sitzt im Hippocampus, einer Nervenregion tief im Innern des Gehirns. IMAGO / Science Photo Library

Dass sie so lange aktiv bleiben sollen, bekommen diese Nervenzellen von einer zweiten Gruppe Nervenzellen gesagt, die auch im Hippocampus sitzt. «Diese zweite Gruppe hält die erste aktiv», so Rutishauser. Und dieses aktiv Halten ist nötig, weil Nervenzellen normalerweise immer nur kurz aktiv sind, im Bereich von Millisekunden.

Diese zweite Gruppe, nennen wir sie «Aktivhalter», wiederum bekommt ihre Befehle von noch einmal woanders her: von einer Region ganz vorn im Gehirn, direkt hinter der Stirn.

Dort hinter der Stirn wird der Entschluss gefällt: «Ich gehe jetzt in die Küche, und merke mir, dass ich etwas trinken will.» Der Befehl, sich das doch bitte so lange zu merken, bis man in der Küche steht, geht dann an die «Aktivhalter»-Gruppe von Nervenzellen im Hippocampus.

Das Telefon klingelt – die Nervenzellen werden gestört

Klappen kann das alles nur, wenn alle beteiligten Nervenzellen sich darauf fokussieren, leistungsfähig sind, und nicht bei der Arbeit gestört werden. Mit anderen Worten: Jeder Störfaktor – ein Telefonanruf, das Klingeln an der Tür, Müdigkeit – kann das Kartenhaus schnell zum Einstürzen bringen. Und wer erkrankt ist, an Alzheimer zum Beispiel, dessen Nervenzellen sind in genau den Bereichen nicht mehr so leistungsfähig und bekommen die Koordination untereinander nicht mehr so gut hin.

Wenn man sich das vor Augen führt, wundert man sich beim nächsten Mal vielleicht weniger, wenn man ratlos in der Küche steht.

Radio SRF 4 News, Wissenschaftsmagazin, 25.04.2024, 05:35 Uhr

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