Zum Inhalt springen

Sperrzone im Dorf Bei Gefahr stoppt in Brienz eine automatisierte Ampel den Verkehr

Aufgrund von Niederschlägen haben sich in Brienz GR am Sonntag mehrere Felsstürze ereignet. Unterhalb der Sperrzone rund um das evakuierte Bergdorf kann im Notfall jetzt eine Ampel den Verkehr in Echtzeit stoppen. Geologe Stefan Schneider schätzt die Lage ein.

Stefan Schneider

Geologe

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Stefan Schneider ist Geologe ETH und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Brienzer Rutsch. Bis Ende Juli ist er Leiter des Frühwarndienstes der grossen Hangbewegung über dem Dorf Brienz / Brinzauls.


SRF: Herr Schneider, wie ist die Lage in Brienz aus geologischer Sicht?

Stefan Schneider: Im Moment würde ich sie als angespannt bezeichnen. Denn die grossen Felsstürze, die sich am letzten Sonntag ereignet haben, sind wieder auf diese Schutthalde gestürzt. Dadurch haben sich die Geschwindigkeiten dort nochmals verdoppelt. Aufgrund der Niederschläge im ganzen Juli und die zusätzliche Feuchtigkeit im System haben wir seit Anfang Juli jetzt sogar fast eine sechs- bis siebenfache Geschwindigkeit auf dieser Schutthalde. Das ist sehr gefährlich für das Dorf. Da es im Moment sehr nass im Gebiet ist, könnte ein herunterkommender Schuttstrom sogar die Verkehrswege erreichen. Wenn es wieder etwas trockener ist, beruhigt sich die Situation aber auch wieder.

Es sind nur wenige Millisekunden oder Sekunden, die es dauert, von der Detektion bis zum Schalten auf Rot.

Seit dieser Woche stehen Ampeln an der Bahnstrecke und an der Kantonsstrasse. Wie funktionieren diese?

Das ist eine vollautomatisierte Alarmanlage. Ein Radargerät ist im Gelände montiert und schickt nonstop Radarwellen Richtung Berg. Stürzen grössere Geröllmassen ab, geht ein Funksignal auf diese Ampelanlagen. Es sind nur wenige Millisekunden oder Sekunden, die es dauert, von der Detektion bis zum Schalten auf Rot.

Es geht gar nicht über eine Schaltzentrale, wo Menschen mitentscheiden?

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass wir einen grösseren Abbruch rechtzeitig mit unseren ganz «normalen» Messgeräten feststellen und auch genügend Reaktionszeit haben. Aber es gibt eine gewisse Restgefährdung, dass ein solcher Prozess plötzlich abgehen könnte. Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, aber um sie auch abzudecken, wurde eben diese automatische Alarmierungsanlage eingerichtet.

Die Lage hat sich fortlaufend immer wieder etwas verschärft – deshalb ist ein Aufenthalt im Dorf nicht mehr möglich.

Rund ein Drittel der Bevölkerung zieht eine freiwillige Umsiedlung in Betracht. Wie schätzen Sie die langfristige Zukunft von Brienz ein?

Wir befinden uns gerade in einer Entscheidungsphase, da der Entwässerungsstollen mit Hochdruck vorangetrieben wird. Er nimmt bereits jetzt das Wasser aus dem Berg und hat die ersten Erfolge verzeichnet. So konnte die Rutschung zum Dorf deutlich verlangsamt werden. Es wird sich zeigen, ob nun noch weitere Wasservorkommen angebohrt werden können. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass sich die Lage fortlaufend immer wieder etwas verschärft hat. Und deshalb ist ein Aufenthalt im Dorf nicht mehr möglich.

Wie eine Naturkatastrophe alles verändert

Wie wird es sich weiter entwickeln?

Das ist schwierig zu sagen. Wenn der Stollen noch weiter wirkt, kann sich die Situation oben tatsächlich beruhigen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass diese Gesteinsmassen irgendwann nicht zu schlimm abstürzen würden. Dann wäre mittelfristig auch wieder ein Aufenthalt und ein Wohnen im Dorf möglich. Der schlechtere Fall wäre, dass es sich oben am Berg nicht so richtig entspannt und es in Zukunft ständig ein «On- und Off-Regime» geben könnte.

Was heisst dies genau?
Immer wenn es trockene Phasen gibt, sind temporäre Zugänge wieder möglich, aber sobald es erneut regnet, verschärft sich die Lage, sodass ein Zutritt oder Wohnen nicht mehr möglich wäre. Zieht sich dies über eine längere Zeit hin, wäre es für die betroffene Bevölkerung eine zusätzliche Belastung zur jetzt schon zermürbenden Situation. Doch wir können leider auch dies derzeit nicht ganz ausschliessen.

Das Gespräch führte Barbara Reye.

SRF 4 News, 31.07.2025, 16:25 Uhr

Meistgelesene Artikel