Sobald ein Kind auf der Welt ist, teilt es sich sofort unüberhörbar mit. Doch: Babys schreien nicht – sie «singen»; und zwar – sozusagen – in ihrer Muttersprache. Das sagt Kathleen Wermke vom Universitätsklinikum Würzburg. Die Biologin erforscht seit 40 Jahren Babyschreie, Brabbeln und frühkindliche Sprachentwicklung.
«Babygesänge» erforschen
Über die Jahre hat Wermke ein riesiges Tonarchiv von unzähligen Babystimmen angelegt und sie erkennt die Herkunft jedes Babys nur an seinem Schrei.
Die Biologin weiss: Wo auf der Welt ein Baby geboren wird, muss sein Hören und Sprechen bereits vorgeburtlich geprägt haben.
Denn ein französisches Baby schreit von Beginn weg ganz anders als ein deutsches. Das hat laut Wermke damit zu tun, dass es die Intonation und die Melodiebögen seiner Mutter bereits kennt und imitiert.
«Mit jedem neuen Baby auf der Welt wächst wohl unser Verständnis, wie wir Menschen überhaupt lernen, aus Rhythmus, Melodie und harmonischen Klängen letztlich eine Sprache zu begreifen», sagt die Biologin. Auch wenn es dann noch ein weiter Weg ist bis zum Sprechen dieser Sprache selbst.
Beginnt alles schon vorher?
Das Forschungsprojekt «Native Infants' Cry» der Universität Zürich will untersuchen, wie und warum wir die ersten akustische Signale verarbeiten – das beginnt nämlich bereits im Mutterbauch und kann gemessen werden.
Die Neurowissenschaftlerin Alejandra Hüsser betreut das Projekt. Und weil die Forscherin hochschwanger ist, wurde sie schon selbst zur Probandin und hat sich im Dienste der Wissenschaft in den Magnetresonanztomografen (MRT) gelegt.
Im MRT werden Kopfhörer aussen am Bauch der Mutter angebracht. Diese übermitteln zuvor speziell aufgenommene Tonfolgen der Mutter an das noch ungeborene Kind. Das MRT macht Gehirnscans beim Fötus. Auf den Bildern lässt sich messen, ob, wie und wo Signale im Hirn des Fötus angekommen sind. Und was das in der Folge für Auswirkungen haben könnte.
Native Infants' Cry
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Bild 1 von 3. Baby mit mütterlichen Tönen beschallen. Im Magnetresonanztomografen (MRT) werden Hirnscans am Fötus gemacht, die messbar machen sollen, welche Audioinformationen beim Fötus registriert werden. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 3. Speziell aufbereitete Tonabfolgen. Die Mutter nimmt ihre Stimme in definierten Lauten auf. Spezielle Kopfhörer werden aussen am Bauch angebracht und beschallen das Baby. Wichtig sind entsprechende Intonationsmuster. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 3. Aktivierte Hirnareale. Die Forschenden interessieren sich besonders für den auditorischen Kortex, den Teil im Gehirn des Ungeborenen, bei dem erste Schallwellen ankommen und verarbeitet werden. Bildquelle: SRF.
Die Forschenden interessiert besonders die Verbindung zwischen zwei Hirnregionen bei Ungeborenen: dem auditorischen Kortex, also dem Teil des Gehirns, bei dem Audio-Signale erstmals ankommen und verarbeitet werden. Und demjenigen Teil des Gehirns, der für die Sprechbewegungen zuständig wird.
«Wir vermuten: Genau in dieser Verbindung steckt vielleicht schon im Mutterleib die Fähigkeit von uns Menschen, die Melodie einer gehörten Sprache – nämlich die der Mutter – zu erlernen», sagt der Studienleiter Alexis Hervais-Adelman.
Noch steht das Projekt ganz am Anfang, Resultate gibt es noch keine. Magnetresonanz-Untersuchungen ab der 33. Schwangerschaftswoche werden als sicher eingestuft und es gibt keine Hinweise für Auswirkungen auf das fetale Wachstum.
Vielleicht steckt in solcher Forschung ja auch eine mögliche Antwort auf die grosse Frage: Warum sprechen wir Menschen eigentlich? Warum schlagen wir uns nicht, wie so viele Spezies im Tierreich nur mit Schreien und Gestikulieren durchs Leben? Die Forschenden vermuten, dass genau dieses vorgeburtliche Hören von Stimmen uns schon sehr früh auf das Erlernen einer komplexen Sprache prägt.